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Die Heldin von Peter Stamms neuem Roman "Ungefähre Landschaft" lebt in Norwegen und scheint dort ebenso eingefroren zu sein wie ihre Umgebung. Dieses Gefühl der Kälte und Kargheit vermittelt der Autor auch in seiner Prosa.
Die 28jährige Zollbeamtin Kathrine wohnt mit ihrem achtjährigen Sohn Randy in einem kleinen norwegischen Dorf nördlich des Polarkreises. Von ihrem ersten Mann Helge, einem Trinker, hat sie sich scheiden lassen. Ihre zweite Ehe mit Thomas, einem Sohn aus gutem Hause, erweist sich als unglückliche Verbindung: Kathrine weiß eigentlich gar nicht, warum sie Thomas geheiratet hat, und als sie eines Tages feststellen muß, daß er ein Lügner ist, trennt sie sich von ihm.
Kathrine verläßt aber auch ihr Kind und ihr Dorf und folgt einem dänischen Freund namens Christian, der gerade als Monteur in Frankreich arbeitet. Das erste Mal in ihrem Leben sieht sie die Welt südlich des Polarkreises und außerhalb Norwegens und erkennt, daß es für sie dort auch nicht anders ist als zu Hause.
Christian ist zudem nicht interessiert an Kathrine, und so kehrt die junge Frau nach ein paar gemeinsamen Tagen in Paris in ihr Heimatdorf zurück. Sie läßt sich von Thomas scheiden, heiratet ihren Jugendfreund Morton, bekommt ein zweites Kind und zieht schließlich in eine andere Stadt.
Besonders bemerkenswert an "Ungefähre Landschaften" ist zweifellos Peter Stamms Prosa, die sich durch ihren verknappten Stil auszeichnet. Nur wenig ausführliche Details oder Erklärungen sind beigefügt. Mit nüchternen, fast lakonischen und unprätentiösen Sätzen wird Kathrines Schicksal beschrieben, das wie eine Suche nach Liebe und Wärme, nach einem Ziel in der "ungefähren Landschaft ihres Lebens" scheint.
Als Leser spürt man ein wenig Beklemmung - nicht nur über die Eintönigkeit des Alltags im Norden, sondern auch darüber, wie sehr sich Kathrine eigentlich treiben läßt, ohne ihrem Leben je wirklich eine Richtung zu geben. Das übernehmen die Männer, denen sie begegnet: Thomas beschließt nicht nur ihre Heirat, er bevormundet Kathrine auch in allem. Sie verläßt ihn zwar, weil sie ihn als Lügner "entlarvt", begibt sich aber - ohne genau zu wissen, warum - auf eine anstrengende Reise quer durch Europa. Ihre "Suche" endet im sicheren Familienleben mit ihrem Jugendfreund Morton, der (ähnlich wie Thomas) ihre Heirat und auch den Umzug in eine andere Stadt in die Hand nimmt. Ein Happy-End? Kathrine bleibt sie selbst, leb- und ziellos, und nichts hat sich wirklich verändert. Oder, wie es die letzten Sätze des Romans ausdrücken: "Es wurde Herbst und Winter. Es wurde Sommer. Es wurde dunkel, und es wurde wieder hell."
Die "tageweite, verlassene Schneelandschaft" der Finnmark zeigt nach außen, wie es in Kathrine innen aussieht und wie sie dem Leser erscheint: karg, abweisend, leer und emotionslos. Nur wenige Stellen im Buch beschreiben eine weinende, traurige oder verzweifelte Kathrine. Auch die anderen Figuren des Romans zeigen keine Gefühle - die scheinen alle in der Kälte des hohen Nordens eingefroren zu sein.
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