Die wenigsten Compilations werden mit fortschreitendem Alter (sprich weiteren Teilen) besser - als würden die Zusammensteller mit der Zeit ihren Idealismus immer mehr durch Träume von Innenstadt-Lofts ersetzen. Schön, daß es noch Ausnahmen wie die "Vienna Scientists III" gibt.
Der Hype um Wien als Hauptstadt relaxter Downtempo/Chillout-Tunes ist einfach nicht totzukriegen. An und für sich ist das eine schöne Sache, denn der "Wien-Sound" ist auch schön. Doch es gibt nichts ohne Schattenseiten: Zum einen hat sich die hiesige Szene schon seit längerem von ihrer reinen und ausschließlichen Kaffeehaus/Fahrstuhl-Smoothness emanzipiert - das Spektrum an brillanter elektronischer Musik ist breiter, flexibler geworden. Zum anderen lockte der Erfolg eine Menge ideenloser, mäßig kreativer Trittbrettfahrer aus ihren Löchern, die die Welt mit langweiligen bis miserablen Wien-Blabla-Compilations geißelten. Aber Vorsicht, es gilt zu differenzieren! Wenn "Vienna Scientists" draufsteht, steckt deswegen noch lange kein Zeit und Geld verschwendender Sound-Müll drinnen.
Mittlerweile gibt es bereits die dritte Ausgabe des verdammt cool gestalteten (und durch die Bilder von Mario Huber mit hohem, Marketing-technisch sehr wertvollem Wiedererkennungswert versehenen) Wiener Groove-Überblicks zu kaufen. Und man muß Jürgen Drimal, Chef-Wissenschaftler und hauptverantwortlich für den Inhalt, das Kompliment machen: Er lernt schnell dazu in diesem nicht wirklich einfachen Busineß. Teil eins war gut, profitierte darüber hinaus aber vom Neuheitseffekt, der die CD in der öffentlichen Wahrnehmung über ihr wahres Niveau hinaushievte. "Vienna Scientists II" konnte das musikalische Level halten und kommerziell sogar zulegen, war aber inhaltlich nicht der erhoffte Innovationssprung nach vorne.
Liest man das Track-Listing der neuen Compilation, die mit dem treffenden Untertitel "A Mighty Good Feeling" daherkommt, so sieht man in der Auswahl sofort das Wachstum an (musikalischer wie kommerzieller) Erfahrung. Ein High-Quality-Snapshot der NuGroove-Szene der Donaumetropole sollte es werden, und dieses Ziel hat man auch erreicht. Kein (mittlerweile schon) archaischer Monotonfluß meditativer Klangteppiche, sondern ein dynamisches Stilleben mit vielen Dimensionen (der Widerspruch ist gewollt). Ambienteske Sounds mischen sich mit energetischen Beats, zeitgeistigen Funk-Variationen, schwerst bekifften Dub-Bässen und fröhlichen Bossa-Harmonien.
Würde sich ein völlig unbedarfter Neuling "Vienna Scientists III" anhören, bekäme er einen guten, ersten Überblick über das Future-Jazz-Wien am Ende des Jahres 2000 - auch wenn der Wasserkopf (für Nichtösterreicher: Wasserkopf deshalb, weil sich hier ökonomisch, kulturell und sozial fast die gesamte Substanz des Landes akkumuliert hat) zugegebenermaßen auf elektroakustischem Gebiet durchaus mehr im Angebot hat - was aber im Fall der "VS3" den berühmten roten Faden gekillt hätte. Die vertretenen Künstler komplettieren das Bild der Repräsentanz: Auf der einen, etablierten Seite stehen u. a. Tosca, Walkner&Möstl (beide aus dem Nobel-Stall G-Stone Rec.), dann Uko, die Groove-Experten der heimischen Innovations-Schmiede Klein Records, oder des Hausmeisters (alias Jürgen Drimal) eigenes Projekt Freedom Satellite. Ihnen gegenüber finden sich Jungspunde wie Snail Mail oder das Sonic Adventure Project, ebenso wie in der Heimat bekannte, global jedoch noch etwas unterrepräsentierte Gesichter, z. B. jenes von "Ethno-Hopper" The Waz Exp, Familie Seelig oder die Whiskey-rauchig-erotische Stimme von Sin.
Wie es sich für eine gesunde Entwicklung gehört, ist "Vienna Scientists III: A Mighty Good Feeling" der vorläufige Höhepunkt der Serie. Selbst eingepfercht zwischen öltankerfüllenden Mengen an NuGroove-Compilations dürften die Laborratten aus dem 6. Wiener Gemeindebezirk zum populären Weihnachtsgeschenk werden. Rating: strong buy.
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