Lonely Rita

Ist die Pubertät an sich schon ein Drama, so verschärft sich diese Lebensphase für Rita durch die klaustrophobische Enge ihres Elternhauses zur stummen Katastrophe.

Rita ist 15. Ihr Heranwachsen verläuft in der exemplarisch durchschnittlichen Monotonie einer Mittelstandsfamilie an der Peripherie Wiens. Im einförmigen Alltag zwischen katholischer Klosterschule und teilnahmlosem Elternhaus bewegt sich das Mädchen (Barbara Osika) wie eine Gefangene. An beiden Orten ist sie eine Außenseiterin, ein wenig unbeholfen, verschlossen, einsam und stumm renitent.

Die einzige Abwechslung zu Schultheateraufführungen, einem ständig Busserln fordernden Vater (Wolfgang Kostal) und der hilflosen Mutter (Karin Brandlmayer) sind die gemeinsamen Nachmittage mit dem 13jährigen asthmakranken Nachbarsbuben Fexi (Christoph Bauer). Diese enden aber abrupt, als die Mutter Fexis beide bei verstohlenen Sexversuchen überrascht und jeden weiteren Kontakt verbietet. Rita verliebt sich nun in einen Buschauffeur (Peter Fiala) und beginnt die Schule zu schwänzen, um in seiner Nähe sein zu können. Doch der erste Ausbruchsversuch aus der provinziellen Enge endet deprimierend auf dem Klo einer Bauerndisko. Auch die nächste Flucht, die sie gemeinsam mit dem kranken, widerstrebendem Freund unternimmt, scheitert. Erst die dritte "gelingt" - mit Gewalt und endgültig.

Mit langen Einstellungen und gräulich ausgewaschenen Farben skizziert Jessica Hausner weniger das Psychogramm eines heranwachsenen Mädchens als das einer verständnislosen Umwelt, die in ihrer Gleichgültigkeit ungemein brutal zu sein scheint oder tatsächlich ist - und trotzdem so alltäglich. Die von der erst 29jährigen Regisseurin angestrebte Mischung zwischen Realismus und Stilisierung funktioniert dabei über weite Strecken recht gut. Digitale Videobilder mit "verbotenen" Zooms, dazu großteils Laiendarsteller in halbdokumentarischen Sequenzen; das alles wirkt oft erschreckend authentisch - ein Highlight ist etwa der Geburtstag des Vaters, dessen Hobby (das Schießen) verhängnisvoll ist.

Damit und mit einer bis ins kleinste Detail stimmigen Ausstattung (Mode, Sprache, Sets), die in österreichischen Produktionen Seltenheitswert besitzt, gelingt in "Lovely Rita" eine dichte Milieubeschreibung einer stickigen, katholisch-provinziellen Atmosphäre, die vor allem vom Land kommende Rezipienten sicher nachvollziehen können. Hausner beweist großes Gespür für Location und Charaktere, betrachtet sie mit einer Mischung aus Distanz und Sympathie und erfreulicherweise gänzlich unironisch. Der um Realismus bemühte, wortkarg-ernsthafte Look des Films erinnert jedoch trotz eines vorkommenden Moby-Hits oft an die späten 70er und frühen 80er Jahre und scheint an ähnliche TV- und Spielfilme jener Zeit (z. B. "Kassbach") anzuknüpfen. Oder es hat sich in Österreich kaum was verändert...

"Lovely Rita" ist leider kein zweites "Welcome to the Dollhouse", diese packende, schwarzweiße Teenie-Studie von Todd Solondz über kindliche Demütigungen. Denn die Metaphorik, alles (zwecks der kalten Welt) im Winter spielen zu lassen, wirkt dann doch etwas aufgesetzt und kommt ebenso statisch wie unemotional dahe; auch die bewußt "unfilmische" Ästhetik ist gewöhnungsbedürftig. Trotzdem ist der Streifen ein sehenswertes Debüt. Mit ihm erhielt Jessica Hausner, die der "coop 99"-Filmergruppe - der heimischen Talenteschmiede um Barbara Albert ("Nordrand"), die koproduziert hat - angehört, heuer in Cannes internationale (lobende) Beachtung und im Rahmen der diesjährigen Viennale den Wiener Filmpreis.

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ähhh....
(r.evolver, 06.11.2001 13:34)

ahhh....
(r.evolver, 06.11.2001 13:38)

"für österreichische Verhältnisse recht bemerkenswert."
(Harald, 06.11.2001 14:36)