Fortsetzung...
Kunst as Kunst can
Wer keinen Anlaß hat, Venedig zu besuchen, zum Beispiel, weil er gerade mal nicht heiratet oder kein Filmkritiker ist, der sollte eine Okkasion erfinden. Es gibt zum Beispiel ein paar nette Internet-Cafés dort: Wenn man da seine Mails (als Postkarten-Ersatz) verschickt, gibt man automatisch auch die täglichen URLs ein, checkt das Wetter in der Heimat, ja, und was sagen die Nachrichten? Schon ist wieder eine halbe Stunde rum. Man verläßt das @-Café und hat das Gefühl, man wäre kurz im Büro gewesen, fleißig und produktiv.
Ein besserer Anlaß ist jedoch die Biennale, die in diesem Jahr noch bis zum 4. November läuft. In Kurzform: Nichts wie hin!
Die Biennale verteilt alle zwei Jahre Kunst aus allen Ecken der runden Erde über zahlreiche Pavillons. Das Ganze findet zum Teil in Parks statt, was angenehme Spaziergänge erlaubt. Auch gibt es Cafés (Plastikbecher, aber der Inhalt stimmt) und Toiletten, ergo keinen Grund, sich vor der Kunst zu drücken. Nur Kunstkritiker finden was zu nörgeln. Tenor des heimischen Blätterwalds: Die flimmernden Filme wären ja so nervig, die Künstler würden sich ja viel zu wenig mit den Problemen unserer Zeit auseinandersetzen, ihren Standpunkt in ihren Werken kaum artikulieren, und so weiter und so fort.
Alles papperlapapp. Den Feuilletonschreibern ist da einfach nicht zu trauen. Nicht, weil sie keine Ahnung hätten, sondern, weil sie Seiten füllen müssen, mit Text. Text, der über Nicht-Text berichtet, über Kunst, die ja meist explizit keine Textkunst ist. Meine bescheidene Meinung ist: Da kann ja nur Taubenkot bei rauskommen.
Ich sage: Seinen Standpunkt nicht zu artikulieren ist ein ganz normales Problem unserer political correctness. Außerdem gibt es in Venedig etliche Werke, die sich direkt auf die Zeit beziehen, sofern man willens ist, zu sehen, was sie über die Probleme unserer Zeit sagen. Die Schweiz zeigt Kunstwerke mit Mantras zum "erfolgreicher werden", quasi Turbokapitalismusgefälligkeitskunst. Aus Ungarn kommen Sportgeräte-Fakes, die wie die üblichen Bodybuilding-Folterinstrumente aussehen, aber normale Bewegungen des täglichen Lebens trainieren, etwa Handytastendrücken oder Wändestreichen - sehr lustig. Japan hat einen Raum voller McDonald´s-Logos, das brachte mich zum Grinsen. In Rußlands Räumen gibt es unter anderem schwarzgewandete Roboter, die ununterbrochen beten, mit Muezzin vom Band.
Island hatte eine Mega-Tröte, die den "verbotenen Orgelton" erzeugte, ein tiefes Wummern, einst von der Kirche verboten. Den Ton dort hören zu können, während drumherum die Vöglein zwitschern, und zu sehen, daß kein Sukkubus napalmdampfend der Hölle entsteigt, das sagt eine ganze Menge aus - über Dogmen und Verbote. Und darüber, daß selbst die beste Synthesizer-Plastikorgel den Ton gar nicht erzeugen kann. Fortschritt ist eben Low Resolution.
Was die Probleme unserer Zeit angeht, sind wir die bestinformierte Generation, die es je gab. Müssen wir das alles wirklich auch noch auf der Biennale durchkauen? Was diese Kritiker anpißt, ist doch bloß, daß mindestens die Hälfte art pour l´art ist und dabei weder schön noch spannend. Oder wenigstens verständlich. Ich persönlich finde öde Videoinstallationen ja auch so prickelnd wie eine Tube Wandspachtel, aber das Kritikergejammer prickelt noch weniger. Wäre interessant zu wissen, ob sich Feuilletons interessanter läsen, ließe man die Künstler gleich selbst drin schreiben. Himmel, jetzt bin ich wohl etwas abgeschweift.
Dinner bei Guggenheims
Ins Guggenheim-Museum bei der Accademia sollte jeder gehen, der nicht sterben will, ohne gelebt zu haben. Nichts wie hin, denn hier ist der Touristenabschaum, zu dem wir ja auch gehören, weitgehend proletariatsreduziert. Wir haben es trotzdem geschafft. Die Exponate da drin, naja, wer´s mag. Ganz nett. Kennt man eh alles. Nein, der Kenner geht ins Guggenheimer Museums-Restaurant, weil es ein Ort zum gezielt lässigen Abhängen ist.
Hier bin ich Snob, hier darf ich´s sein. Grüne Bäume, blauer Himmel, schöne Aussicht auf den Kunstgarten, was will man mehr? Ist zwar teuer, aber ein besseres Ambiente hat hier kein Restaurant zu bieten - und keines unserer Museen kann mit einer vergleichbaren Speisekarte aufwarten. Ein halber Büffelmozzarella mit einer Handvoll Kirschtomaten und einem Dutzend Raukenblätter für 25.000 Lire. Taglioni in Salsa Pomodoro (kann man auch ordinär "Nudeln mit Tomatensoße" nennen) für 27.000 Lire. Dazu ein Chardonnay für 32.000 die 0,5-Flasche, geht doch. Plus 12.000 Eintritt pro Person. Ja, das hält erfolgreich das Fußvolk davon ab, sich hier niederzulassen. Es ist sogar, wie soll man sagen: teuer?
Aber man muß sich das Gegenteil vor Augen führen: In der Münchner Pinakothek gibt´s nach der erhabenen Kunst die Würstel mit Senf auf dem Pappteller. Da fragt man sich aufrichtig, wozu die Museen noch Originale zeigen. Man könnte unsere Kunstwerke eigentlich auch gleich auf Pizzakartons drucken und den Couch Potatos nach Hause liefern. Wir brauchen keine Biennale, um etwas über die Probleme der Welt zu erfahren. Die Probleme der Welt drücken sich meistens schon selbst aus.
Vielleicht klingt das alles ein bißchen negativ. Und vielleicht ist´s gerade deswegen jedes Mal so schön dort, in Venedig.