Neben ihren Kollegen von Prodigy, Leftfield und den Chemical Brothers zählen Underworld zu den wenigen Repräsentanten der britischen Rave-Kultur, die erfolgreich den Sprung auf die internationalen Festival-Bühnen geschafft haben. Nun ist ein Live-Album der nächste Schritt: Mit "Everything, Everything" dokumentieren Karl Hyde und Rick Smith ihren langen Weg - und Roman Schilhart steht ihnen mit einer Band-Historie zur Seite.

Wirft man einen retrospektiven Blick auf die elektronische Musiklandschaft der 90er, so gehören Underworld zweifellos zu den bedeutendsten Dance-Acts der britischen Insel. Ihre auf Junior Boys Own erschienenen Platten enthielten jene knallige Mixtur aus Techno, Trance und Rock, für die sich vor allem das englische Partyvolk zwischen Fußballstadion, Club und Ibiza begeistern konnte. Die in der großen Ära des Progressive House entstandenen Underworld-Singles "Skyscraper I Love You" und "Cowgirl" (beide 1993) sowie das darauffolgende Album "Dubnobasswithmyheadman" (1994) trugen zur musikalischen Sozialisation so manchen Ravers bei und brachten das menschliche Element, die Stimme und Gitarren, in die synthetische Welt der elektronischen Dancemusik ein. Von Puristen geschmäht und von der Musikpresse in den Himmel gelobt, verkörperten Underworld den Crossover-Spirit, der für diese Phase prägend war. Den Zweiflern blieb ohnehin bald der Groove im Halse stecken.

Denn spätestens seit dem mit Kultstatus belegten Junkie-Drama "Trainspotting" sind Underworld zu den Mega-Mega-Popstars des Post-Rave-Rockbiz avanciert. Ihre im Sog des Film-Soundtracks neu aufgelegte und mit frischen Mixes versehene Single "Born Slippy" wanderte 700.000mal über die Ladentische und beförderte Underworld auf direktem Wege aus den verschwitzten Clubs an die Spitze der Hitparaden. "Born Slippy" war eines jener Stücke, das die unterschiedlichsten Fraktionen einte. Nie zuvor waren so plakative Inhalte (Saufen, Raufen, Chemikalien) in einem Dance-Track mit mehr Würde und Anmut zusammengefaßt worden. Gleichzeitig markierte "Born Slippy" auch das Ende des großen Rave-Booms, jene Phase also, in der das inklusionistische Klima von Techno zerbrach und Techno-Musik Einzug in die Provinzdiscos und Jahrmärkte hielt, vom kulturellen Phänomen zur Massenbelustigung degradiert.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Weichen für Underworld bereits gestellt: raus aus den Clubs, rein in die Welt der Open-Air-Festivals und Mega-Raves. Irgendwie schien das auch der einzig logische Entwicklungsschritt für eine Band zu sein, deren großbühnentaugliche Inszenierung von Live-Techno wie ein freundliches Angebot an weltoffene Rockfans wirkte, ihre musikalischen Vorurteile zu revidieren. Nach und nach perfektionierten Underworld ihren Entwurf der "Techno-Musik für die Massen", der durch die Zusammenführung von prolligen Rave-Signalen und kleinbürgerlicher Rock´n´Roll-Ästhetik charakterisiert war. Die neue Zielgruppe waren vor allem biertrinkende Festival-Besucher, die passenden Spielfelder dazu hießen wahlweise Glastonbury, Universe oder Tribal Gathering. (Das sind jene sommerlichen Riesen-Events, die in Großbritannien alljährlich hunderttausende Musikbegeisterte aus den Städten auf die Felder locken und allein aufgrund ihrer wilden Mixtur aus Dance-, Pop- und Rock-Areas bei uns in dieser Form undenkbar wären.)



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