Wer "Kino Killer" (ed. belleville), das Buch von EVOLVER-Autor Christian Fuchs, noch nicht kennt, sollte es sich schleunigst besorgen - z. B. bei Amazon.de (http://www.amazon.de). Demnächst soll im englischen Verlag Creation Books eine überarbeitete und aktualisierte Fassung dieses Standardwerks erscheinen. Zu diesem Anlaß hat der Autor exklusiv für den EVOLVER ein einschlägiges Lexikon der Serienkillerfilme von A-Z zusammengestellt - in mehreren Fortsetzungen. Wir wünschen viel Gänsehaut beim Lesen!
Teil 2: D-H
THE DELIBERATE STRANGER
(Alptraum des Grauens)
USA 1986 (TV)
Regie:
Marvin Chomsky
Buch:
Hesper Anderson, nach einem Roman von Richard W. Larsen
Kamera:
Michael D. Margulies
Musik:
Gil Melle
Darsteller:
Mark Harmon
Frederic Forrest
George Grizzard
Ben Masters
Wertung:
ø
Mark Harmon, längst vergessenes Gesicht aus verstaubten US-Fernsehserien ("Flamingo Road") und Kinofilmen, gibt in dieser zähflüssigen Umsetzung des Bildschirm-Fließbandhandwerkers Marvin Chomsky den Serienkiller Theodore "Ted" Bundy, einen All-American-Sonnyboy, dessen Opferzahl zwischen 30 und 40 Frauen schwankt.
Schön chronologisch, wie die meisten True-Crime-Fernsehfilme, folgt der Streifen den Spuren von Bundy, von den ersten Mordfällen bis zu seiner Ergreifung und der letzten Verurteilung im Jahr 1980. Was danach passierte, insbesondere die Hinrichtung Bundys und das dazugehörige volksfestartige Treiben vor dem Gefängnis, fehlt aufgrund des frühen Erscheinungsjahrs im Film. Der eitle Mr. Bundy konnte sich den Streifen wahrscheinlich selbst noch hinter Gittern ansehen.
Neben der detaillierten Polizeiarbeit konzentriert sich "The Deliberate Stranger" logischerweise auf die Fassade vom freundlichen "handsome guy", den sich jede Mutter als Schwiegersohn gewünscht hätte. Hinter diesem Image steckte ein Massenmörder mit außergewöhnlicher Intelligenz (verglichen mit "normalen" Sexkillern, von denen man zumeist behauptet, sie seien häßlich, verklemmt und arm im Geiste) und außergewöhnlich vielen Opfern. Über 20 Mädchen tötete Mr. Bundy in zwei Jahren, zuvor vergewaltigte und schlug er sie äußerst brutal. Diesen Zwiespalt zwischen dem attraktiven Wahlhelfer der republikanischen Partei und dem sadistischen Frauenmörder kann Hauptdarsteller Harmon nur ansatzweise vermitteln; der Rest der Besetzung (auch der begabte Frederic Forrest) verkommt ohnehin zu Statistenrollen. Fazit: True-Crime-Entertainment als kleiner Aufheizer zwischen dem nächsten Werbeblock und der tagtäglichen Gameshow-Verblödungsmaschinerie.
DERANGED
USA 1974
Regie und Buch:
Jeff Gillen u. Allen Ormsby
Kamera:
Jack McGowan
Darsteller:
Roberts Blossom
Cosette Lee
Robert Warner
Marcia Diamond
Brian Sneage
Robert McHeady
Micki Moore
Pat Orr
Marion Waldman
Wertung:
øøøø
Wären Serienmörder Popstars (was sie ohnehin fast sind), würde Ed Gein wohl ziemlich weit oben in den Alltime-"Billboard"-Charts liegen, wobei sich der ältere Herr stilistisch am ehesten zwischen Erbschleicher-Schlager und volkstümlicher Musik einordnen läßt: ein ruraler, rustikaler Geselle, der so viele Filme, Bücher und Merchandise-Produkte inspiriert hat wie kaum ein anderer Killer. Auch diese - leider nur wenig bekannte - schundige Kostbarkeit handelt unzweifelhaft von Mister Gein, dem "Ghul", der nachts oft einsam im Mondlicht tanzte und dazu ein Kostüm aus Menschenhaut trug. Nur die Namen wurden aus den üblichen Rechts- und Personenschutzgründen verändert...
Aufblende. Eine abgelegene Farm in Wisconsin, bewohnt von einem einsamen alten Spinner, der nicht gelernt hat, mit der Welt fertig zu werden. Nach dem Tod seiner Mutter, der ihn in tiefe Depressionen stürzt, holt der Sohn ihren Körper aus dem Friedhof zurück. Old Ezra Cobb mumifiziert Mamas Körper und gräbt bald andere Leichen aus, damit sie Gesellschaft hat. Es dauert nicht lange, bis der erste Mord passiert, denn Mrs. Cobb hat ihrem Sohn nicht beigebracht, wie man mit Frauen umgeht.
Besonders gelungen ist die pseudodokumentarische Machart des Streifens. Ein Reporter, der immer wieder mitten in Ezras Wohnzimmer steht, kommentiert das makabre Geschehen sachlich-trocken-naiv: "Perhaps we can learn from it!" Roberts Blossom, ein eher obskurer Nebendarsteller, nähert sich in seiner einzigen Hauptrolle dem echten Ed Gein (wie man ihn aus der True-Crime-Literatur kennt) bestechend an, indem er ihn nicht als blutrünstigen Irren porträtiert, sondern als schrulligen alten Farmer, einen kindlichen Naivling, der einfach einen mörderischen "Spleen" hat. Jeff Gillen und Alan Ormsby, zwei B-Profis auf dem Sektor billig gemachter, aber origineller Horrorfilme, geben in "Deranged" Einblicke in einen derangierten Geist, und sie tun das manchmal auf sehr bizarr-komische Weise. Tom Savini, Horror-Fans später als Special-Effects-Wizard diverser George-Romero-Zombie-Streifen ein Begriff geworden, gestaltete die spärlichen, aber stimmungsvollen Gore- und Make-up-Sequenzen.
THE EXORCIST III: LEGION
(Der Exorzist 3)
USA 1990
Regie und Buch:
William Peter Blatty
Kamera:
Gerry Fisher
Musik:
Barry Devorzon
Darsteller:
George C. Scott
Brad Dourif
Jason Miller
Ed Flanders
Scott Wilson
Wertung:
øøøø
Was an der Oberfläche wie typisches Genrekino wirkt (wenngleich moderne Horrorfans den subtilen Grusel des Streifens eher als langweilig empfinden) ist in Wirklichkeit eine hochintelligente Reflexion über Gewalt, Religion, Philosophie und Serienmord. Bestsellerautor Blatty (er schrieb den höchst erfolgreichen Original-"Exorzisten") inszenierte mit "The Ninth Configuration" übrigens zuvor schon einen ähnlichen Kassenflop und faszinierenden Dialogfilm. Blatty läßt in diesem theologischen Diskursschocker Metaphysik mit Rationalität und Humanismus mit Individualanarchie aufeinanderprallen.