Fortsetzung

EVOLVER: Deine Installationen sind aber alles andere als banal. Wie vermeidest du das Risiko, in die Welt des simplen Entertainments abzudriften?
Lee Bul:
Ich versuche bei jedem meiner Werke, eine kritische Funktion einzubauen, die durch die Partizipation der Zuschauer aktiviert wird. Bei "Hydra" habe ich mich zum Beispiel mit der Bedeutung von Denkmälern beschäftigt. Der Symbolcharakter von Monumenten wird den Mitwirkenden aber erst bewußt, wenn sie die Fußpumpen betätigen und die Figur aufblasen. Vor ihnen entpuppt sich dann Hydra, eine weibliche Gestalt, die asiatische Auffassungen der Femininität verkörpert und zum Nachdenken anregt. Die Karaoke-Installation "Gravity Greater Than Velocity" hat ebenso eine zweideutige Funktion: Ich lade die Leute ein, in einer Karaoke-Kapsel aus den verschiedensten Songs auszuwählen, mitzusingen und Spaß dabei zu haben. Aber gleichzeitig hoffe ich, daß sie währenddessen bemerken, daß ein Pop-Song nicht nur ein kommerzielles Produkt für die Massen ist, sondern auch individuelle Assoziationen an bestimmte Ereignisse hervorruft, ganz persönliche Erinnerungen weckt.

EVOLVER: Funktionieren deine früheren Aktionen, wie etwa "Artoilet", wo du eine Photocollage in einem öffentlichen WC gezeigt hast, ebenfalls auf dieser Basis?
Lee Bul:
Es gibt einen ähnlichen Ansatz, ja. Die Idee dahinter war eine künstlerische Intervention im öffentlichen Bereich. Viele Leute denken, daß Kunst nur in den eingeschränkten Räumen einer Galerie oder eines Museums bestehen kann. Deshalb versuchte ich, eine Begegnung mit der Kunst zu inszenieren, die ein zufälliges Publikum aus seinem normalen Alltag herausreißen sollte, es veranlassen sollte, über diese Begegnung nachzudenken. Es ging mir nicht einfach um die Präsentation von Kunst im öffentlichen Raum, sondern vielmehr darum, zu zeigen, daß wir tagein, tagaus wunderbare ästhetische Momente in unserem Leben entdecken könnten, wenn wir nur unsere Augen und Sinne nicht vor dem Ungewöhnlichen verschließen würden.

EVOLVER: In einer deiner ersten Street-Performances, "Abortion", hast du ziemlich für Aufregung gesorgt, als du mit einem "Kleid" aus weichen Plastikorganen durch die Straßen gezogen bist. Welche Bedeutung hatte es für dich, deinen Körper und Modelle von Organen zur Schau zu stellen?
Lee Bul:
Nun ja, ich habe ursprünglich Bildhauerei studiert, auf Steine gehämmert, flüssiges Metall zu Figuren verarbeitet und so weiter. Die Bildhauerei ist ein extrem männliches Terrain, und ich habe von Anfang an dagegen rebelliert, nur mit harten Materialien zu arbeiten. Also begann ich mit Stoffen, Schwämmen und anderen weichen Mitteln zu arbeiten, die mir mehr Freiheiten in Sachen Form gaben. Diese "soft sculptures" hätte ich auch einfach so ausstellen können, aber ich wollte ihnen Bewegung verschaffen, indem ich die Stücke einfach als Bekleidung trug und sie in eine Street-Performance miteinband. In dieser und einigen anderen Aktionen war mein Körper eindeutig das Hauptwerkzeug und agierte sozusagen als Skulptur. Und warum auch nicht? Der Körper ist ein vielseitig einsetzbares und wandelbares Medium, dessen "Behandlung" und Transformation zur Skulptur ebensoviel Disziplin verlangt wie jene von Stein oder Stahl. Es war eine Herausforderung für mich, die Grenzen meines Körpers zu testen, und obwohl ich mich von diesen früheren Performances distanziert habe, spielt der menschliche Körper nach wie vor eine wichtige Rolle in meinen Arbeiten, wie etwa bei den Cyborg-Skulpturen.

EVOLVER: In deiner Ausstellung aus dem Jahr 1994 für den "Recycling Art Pavillon" im Expo Science Park in Taejon, Korea, hast du das Verhältnis Mensch-Natur kritisiert. Was waren deine Gedanken hinter dieser Installation?
Lee Bul:
Bei der Installation handelte es sich um ein Glashaus, in dem sich echte und künstliche Pflanzen befanden. Im Laufe der Ausstellung, die über ein Jahr lang dauerte, verwelkten die echten Pflanzen, während die unechten grün blieben. Ich versuchte damit die Frage zu erörtern, ob Natur abseits menschlicher Manipulation überhaupt bestehen kann und welche Ideale und Bedeutungen wir den verschiedenen Aspekten der Natur zuschreiben. Die Problematik des ganzen liegt für mich darin, daß wir die Natur oder das Natürliche in der Vergangenheit immer wieder herangezogen haben, um alle möglichen von Menschen geschaffenen Ideologien zu rechtfertigen. Wie zum Beispiel die "natürliche Fehlbarkeit von Frauen" oder die "natürliche Minderwertigkeit bestimmter Rassen".

EVOLVER: Bei deiner Ausstellung in der Wiener BAWAG Foundation zeigst du erstmals in Europa deine Arbeit "Crush", ein Auftragswerk für die letztjährige Echigo-Tsumari-Triennale in Japan. Kannst du diese Installation etwas genauer beschreiben?
Lee Bul:
"Crush" war ursprünglich für einen Teich in der Nähe eines Bergtempels im japanischen Niigata konzipiert und basiert auf einem bekannten koreanischen Märchen, einer Variation der Geschichten von gefallenen Engeln. Das Märchen erzählt von einer Wassergöttin, die wegen der irdischen Liebe zu einem Holzfäller ihr göttliches Reich verläßt und damit auch ihre überirdische Unsterblichkeit verliert. Ich wollte mit "Crush" die ambivalenten Sehnsüchte dieses Märchens aufzeigen: die Sehnsucht nach menschlichem Glück, das den Besitz des menschlichen Körpers erfordert, der aber gleichzeitig Gegenstand von Verfall und Tod ist.


Info:
Die Ausstellung "Lee Bul - The Divine Shell" läuft noch bis 1. April, täglich von 10 bis 18 Uhr, in der BAWAG Foundation, Tuchlauben 7a, 1010 Wien. Nähere Informationen unter: 01/534 53-22 96 bzw. im Internet unter http://www.bawag-foundation.at



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