Moritz Bleibtreu, Deutschlands verheißungsvollster Jungschauspieler, ist derzeit im Psychothriller "Das Experiment" zu sehen - und demnächst im Istvan-Szabo-Kammerspiel "Taking Sides" nebst internationaler Besetzung. Wird Deutschland eine ernstzunehmende Filmnation? Der EVOLVER traf Moritz Bleibtreu im Hotel Sacher zum Gespräch.
Nach international beachteten Filmen wie "Lola rennt" und "Luna Papa" ist Moritz Bleibtreu nun in einem von der deutschsprachigen Kritik fast durchgehend begeistert aufgenommenen Psychothriller nach einer wahren Begebenheit zu sehen: In „Das Experiment“ spielt er einen Ex-Journalisten, der sich in ein wissenschaftliches Experiment einschleicht, bei dem mit Freiwilligen eine Gefängnissituation simuliert wird, um das menschliche Aggressionspotential zu testen (siehe EVOLVER-Filmreview). Beim Interviewtermin in Wien anläßlich des Filmstarts am 9. März legte er entspannt und allürenfrei einen fast klassischen Auftritt hin: gemütlich plaudernd beim Verzehr eines Wiener Schnitzel.
EVOLVER: Herr Bleibtreu, man hat den Eindruck, daß Deutschland sich seit einiger Zeit bemüht, mehr richtig internationale Filme mit großem Budget zu machen. Das geht häufig schief. Sie haben ja selbst in Filmen wie "Knockin on Heaven’s Door" mitgespielt, über die man sicher streiten kann...
Moritz Bleibtreu: Die deutsche Kritik ist gerade deutschen Filmen gegenüber nicht besonders gnädig. Es kommen sicher auch schlechte Filme aus Deutschland, aber genauso kommen auch aus Amerika sehr gute und sehr schlechte Filme. Der Unterschied ist, daß unsere Kinotradition praktisch nicht vorhanden ist. Ich denke, man sollte der deutschen Filmindustrie mal die Chance geben, sich zu entwickeln. Aber unsere Kritiker loben deutsche Filme entweder in den Himmel oder zerreissen sie total; dazwischen gibts wenig. Da gibt sich die Kritik meiner Meinung nach zu wenig Mühe.
Hat sich beim Betrachten der Endfassung von „Das Experiment“ für Sie schon abgezeichnet, daß dieser Film zu den Besten in Ihrer Karriere zählen könnte?
Das ist schwer zu sagen. Man sieht sich ja selbst zu und kann das nicht so objektiv betrachten - es ist schwierig, das abzuschätzen. Aber ich glaube, die Geschichte ist interessant genug, und es ist eine Story, die jeden was angeht und niemanden kaltläßt.
Sie sind seit zehn Jahren im Geschäft. Was war vorher?
Vorher habe ich Theater gespielt, und davor meine Schauspielschule gemacht. Ich bin durch mehrere Länder gefahren, war ein Jahr in Amerika, ein Jahr in Italien, in Frankreich, und hab mir dort alles angesehen.
Sie kommen aus einer traditionellen Schauspielfamilie, Ihre Mutter Monika war unlängst in "Brechts letzter Sommer" zu sehen...
Ja, da bin ich vorbelastet - meine Eltern sind beide Schauspieler.
"Lola rennt" ist auch in Amerika gelaufen, das war der erfolgreichste Ihrer Filme, haben Sie das als Schauspieler gespürt?
Ja, natürlich, man hat einfach gemerkt, daß Aufmerksamkeit da ist, und man hat in der Welt mal ein paar Augen aufgehen sehen, so à la "Oh, es gibt ja deutsche Schauspieler". Das kriegt man natürlich mit. Und wenn Sie sich ansehen, wo die Franka (Potente, Anm. d. Aut.) heute ist, sollte alles klar sein. Ich habe den Film ja nicht getragen, aber wenn man dann mal aus Japan einen Fanbrief bekommt, ist das schon was Besonderes. Ich habe nach "Lola rennt" allerdings nicht tausende von Angeboten bekommen - nicht ganz. Trotzdem: selbst wenn Filme ausschließlich in Deutschland erfolgreich sind, wird sich früher oder später immer jemand melden, weil es ja auch um viel Geld geht. Wenn die Amerikaner merken, daß von Deutschland aus Filme für dreieinhalb Millionen Mark kommen und diese dann ein paar Millionen Dollar einspielen, sagen die sich natürlich "Wieso machen wir das nicht auch, wer hat das gemacht, wer spielt da mit?", und dann rufen die eben an...
Die Arbeiten zu Luna Papa fanden in Tschadschikistan statt. Welche Erinnerung haben Sie daran?
Es ist eines der sechs ärmesten Länder der Welt, seit sechs Jahren ist dort Bürgerkrieg, das Leben ist wahnsinnig hart dort. Auf der anderen Seite ist es ein superschönes Land, und ich habe mich ein bisschen in die russische Seele verguckt, hab mich dort sehr wohl gefühlt mit den Menschen. Die Dreharbeiten waren ein einziges Abenteuer, es war alles anders, es gibt dort nicht mal ein normales Stromnetz. Film lebt ja von Organisation, und wenn man die benötigte Infrastruktur nicht hat, kommt es zum Chaos. Alleine die Mühe, alle Leute am richtigen Ort zur gleichen Zeit zu versammeln, in den Bergen auf 4000 Metern Höhe mit fünfzehn Autos... das war nicht leicht und sehr strapaziös, aber eben auch wahnsinnig schön. Sicherlich das grösste Abenteuer, das ich bis jetzt beim Film erlebt habe.