Fortsetzung...

Auf das Werk Kieslers blickte Judith Barry erstmals während ihres Studiums in Kalifornien. "Ich glaube nicht, daß mich seine Arbeiten damals direkt beeinflußten, aber im Unterbewußtsein ganz bestimmt", erinnert sich Barry. "Als Architekturstudentin war ich gleichzeitig auch von der Welt der Kunst begeistert, und ich fand es aufregend herauszufinden, wie es Kiesler gelang, beide Disziplinen zu beherrschen." Was sie an seinen Projekten interessierte, waren die imaginären Aspekte, war Kieslers Fähigkeit, mit architektonischen Formen soziale Konditionen zu reflektieren. Barrys Arbeiten bewegen sich in ähnlicher Weise auf mehreren Ebenen. Menschliche Visionen, historisches Gedächtnis und wahrgenommene Architektur verschmelzen, der traditionelle architektonische Raum erfährt zusätzliche Dimensionen. Für Barry existiert keine einzelne, alleingültige Definition für Architektur und deren soziale Auswirkungen; sie könne unsere Beziehung zur Umwelt erweitern, aber ebenso unser Blickfeld extrem einschränken. Denn, so Judith Barry: "Jede Barriere in einem Raum oder auf einer Wand macht immer irgendetwas unmöglich, selbst wenn es sich nur um einen visuellen Scheinwiderstand handelt. Im öffentlichen Raum haben wir heute nur noch sehr wenige Plätze, die uns das 'Tagträumen' ermöglichen."

Die Gratwanderung zwischen öffentlichem und privatem Raum, ein wiederkehrendes Motiv in Barrys Werk, zeigt sich schon in einer frühen Installation der Künstlerin, die kurz nach ihrem Umzug nach New York entstand - "In the Shadow of the City ... vamp r y" (1985), einem Auftragswerk für die Ausstellung "Dark Rooms" des New Yorker Artist´s Space, das sich aus Dia- und Filmprojektionen auf zwei öffentlich errichteten Leinwänden von Autokinogröße zusammensetzte und in mehrfacher Hinsicht Verwirrung stiftete. Zum einen, weil es sich aus privatem Interesse ein Stück öffentlichen Raumes aneignete; zum anderen, weil es in die Privatsphäre der Passanten vordrang, die sich den verführerischen Bildern und Wortgefügen auf den beiden Leinwänden zwar nicht entziehen, aber auch keinen Sinn daraus ersehen konnten. Vergleichbare Irritationen löste das einminütige Video "Adam´s Wish" (1988) aus, in dem Barry Adam als Arbeiter in Overall zeigt, der nach der Hand Gottes greift und in dem Moment, wo sich ihre Fingerspitzen berühren, vom Himmel fällt, in einem Park landet und zum Freund der Obdachlosen wird.

Die soziale Schiene, auf der sich Judith Barry in "Adam´s Wish" bewegte, zieht sich auch durch jüngere Arbeiten, wie beispielsweise "The Work of the Forest" (1992), in der sie Art-Nouveau-Leinwände im Stil des belgischen Architekten Paul Hankar benutzt, um aufzeigen, wie sich die "Congo Exposition", eine Weltausstellung, die 1897 in Brüssel stattfand, museumsähnlicher Mittel bediente, um die Werbetrommel für die Pläne des belgischen Königs Leopold II. zur Kolonialisierung Afrikas zu rühren. Mit Hilfe verschiedener künstlerischer Techniken (Video-Tonpanorama, Computer-Animation und runder Raumarchitektur) spielt Barry mit dem Betrachter, arrangiert verschiedenste Positionen und Blickwinkel, inszeniert ein Spiel von Pro und Kontra, übt subtile Kritik an dem Plan, stellt Fragen in den Raum - und löst mit ihrer runden "High-Tech-Zelle" beim Betrachter einen Verlust der Kontrolle aus. Über das, was er von der einen Position aus sieht, von der anderen aber nur vage vermuten kann.

Daß moderne Technologien ihre Arbeiten verändert haben, bezweifelt Judith Barry. Vielmehr seien Technologien in all ihren verschiedenen Verkleidungen ein fixer Bestandteil unseres Lebens geworden, meint sie. High-Tech und Internet werden, davon ist sie überzeugt, auch nicht das klassische Kunsthandwerk vernichten. "All diese scheinbar altmodischen Kunstkenntnisse sind umso bedeutender, wenn man Raum gestaltet, ohne auf die reale Welt Bezug zu nehmen. Ohne diese altmodischen Erfahrungen ist man als Künstler eingeschränkt und läuft Gefahr, nur der Gefangene irgendeines Computerprogramms zu werden."



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