Chan Chop-suey
Sachverhalte investigativ zu beleuchten ist
eine hohe Kunst. Vollendet wird sie aber erst durch das Auswählen
von Daten und Fakten, die auf den ersten Blick so friedlich wirken wie
ein Osterhase auf der grünen Wiese. EVOLVER-Expertin Anni
Bürkl hat ein Auge für die Mißstände dieser Welt.
Im Grätzel war man miteinander bekannt. Man
tratschte und saugte jede Information begierig in sich auf - auch wenn
man mit den Neuigkeiten unter Umständen persönlich gar nichts
anfangen konnte. Man ging zum selben Friseur, und zum selben Hausarzt sowieso.
(Selbst wenn man unzufrieden gewesen wäre, hätte ein Wechseln
des "Herrn Doktor" einen schweren Fauxpas bedeutet. Sowas spricht sich
ja gleich herum...) Sogar die Ausländer hielten sich an die Regeln
des Viertels - die meisten wenigstens.
Nur die Chinesen wollten nicht so recht in dieses
Bild passen; von ihnen erfuhr man auch nie Genaueres. In ihrem Restaurant
"Schöne Blume" servierten sie absonderliche Speisen, an die man sich
mit der Zeit jedoch gewöhnte, da sie preisgünstig waren. Ansonsten
lächelten sie; doch nach und nach gewöhnte man sich auch daran.
Selbst die Polizisten des nahegelegenen Kommissariats holten sich dort
gelegentlich ihr Mittagsmenü, wenn sie Lust auf Abwechslung hatten.
Eines Tages schienen die Beamten aber besonders
schlecht gelaunt. Einer der Restaurantchinesen - man war ja im Grätzel
generell der Ansicht, daß ein Schlitzauge wie das andere aussehe
- überquerte die Straße bei Rot, als gerade zwei sehr junge
Polizisten (sie traten stets im Duo auf) das Dienstgebäude verließen.
Sie waren auf dem Weg zum Greißler, um für die versammelte Mannschaft
Wurstsemmeln zu besorgen.
Eine Passantin gab folgenden Wortwechsel zu Protokoll,
der später bei Gericht als Falschaussage klassifiziert wurde (später
mußte die Frau auf Drängen des Staatsanwalts sogar zugeben,
daß sie überhaupt noch nie am Ort des Geschehens gewesen war...):
"Die Polizisten - eigentlich ein Polizist und eine Polizistin - haben den
Mann ziemlich zynisch angeredet: 'Hamma net gseng, daß durt rot is?'
"
Vielleicht wäre alles gut ausgegangen, so
die angebliche Zeugin, wenn der Chinese freundlich-unterwürfig, mit
dem üblichen Klischeelächeln, nichts verstanden und eine Entschuldigung
gestammelt hätte. Der etwa 30jährige, für einen Asiaten
großgewachsene Mann durchbrach aber das bekannte Spiel zwischen Untertan
und Ordnungsorgan und sagte mit leichtem Wiener Dialekt: "Ich hab´s
eilig, mein Essen brennt an!" Und mit der Hand, in der er eine offenbar
soeben erworbene Packung Zigaretten hielt, deutete er auf das China-Restaurant.
Er dachte wohl, das genüge als Erklärung, zumal das Lokal mit
der Polizei auf freundschaftlichem Fuß stand - schließlich
bezogen die Beamten ihre Speisen mit Rabatt.
Doch weit gefehlt. In strengem Ton verlangte der
Polizist, einen Ausweis zu sehen. "Aber Herr Pichler, Sie kennen mich doch!
Ich bin Herr Chan!" rief Herr Chan aus. Ein Amt kenne gar niemanden, erwiderte
Inspektor Pichler. "Den Ausweis, bitte!"
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