15-10-2000/Abteilung:
Musik/Archiv
Habudududidauuuuarghhhhhhhahhhbrrrrrrrijahhhhhgrrr! Völlig korrekt, diese Vitrine widmet sich dem Urahn des Voodoo-Rocks, Screamin´ Jay Hawkins - einer Blues-Kanone großen Kalibers, in beiderlei Sinn des Wortspiels: Angeblich gehen nicht nur eine stattliche Anzahl geächteter Tonträger auf den Turban des närrischsten Punks seit der Erfindung des Blues, sondern auch jede Menge ganz und gar nicht geistiger Kinder, die niemals im Brunnen, sondern vielmehr in staatlichen Waisenhäusern landeten - r.evolver ermittelt (nicht nur) für das Sittendezernat... Ahabudidi, ahabudidi, grrrrrr, wooaahh... Würde sich der eine oder andere Rockpathologe die Mühe machen, Sreamin´ Jay Hawkins schier endloses Repertoire seltsamster Urlaute zu analysieren, katalogisieren oder gar im Sinne allgemeiner Verständlichkeit zu übersetzen, ließe sich ein Nervenzusammenbruch wohl kaum vermeiden. Darum beschränken umsichtige Theoretiker eine etwaige analytische Betätigung zumeist auf Mr. Hawkins grandios-räudiges Klavierspiel und das blecherne Knattern der Saxophonbegleitung: "I put a spell on youaah ... cause you´re maaaaaeeen ... ouuurggghh ..." Spätestens hier würde jede Untersuchung im Treibsand der Urgewalten verlaufen und am archaischen Geschrei des Satans in persona scheitern, so wie ein User am irreparablen Systemabsturz. Solche seltsamen und stimmlich in keiner Weise reproduzierbaren Laute sind nun mal (glücklicherweise) ebensowenig aus "Voodoo-Jays" Schatzkistlein bitterböser Melodien wegzudenken wie der obligatorische Totenkopf Henry oder die alte Büchse, mit der Mr. Hawkins im Rahmen ekstatischer Konzerte dem einen oder anderen Fan angeblich eine Ladung Schrot in den Allerwertesten zu pfeffern pflegte. Apropos: Die wildesten Gerüchte ranken sich um des Genies rastloses Leben, das 1929 in den Slums von Cleveland/Ohio begann und unter wenig spektakulären Umständen vergangenen Februar in Paris ein plötzliches Ende fand. Wider erwarten waren weder Überdosis noch Mord und Totschlag (wie sich das eigentlich für einen seines Schlages gehört hätte) verantwortlich für das Ableben des Blues-Destrukteurs aller Klassen, sondern ein Routineeingriff im Krankenhaus - der unglückliche Kulminationspunkt einer genaugenommen gescheiterten musikalischen Existenz, die stets im falschen Genre beheimatet war. Screamin´ Jay Hawkins hätte das Zeug zum Opernsänger gehabt; und wäre da nicht dieses kleine "Handicap" gewesen, so würde er uns heute wohl eher im klassischen Kontext bekannt sein. Doch leider hatte der Meister die falsche Hautfarbe, und dieser biologische Umstand zählte im Amerika der McCarthy-Ära nicht gerade zu den günstigsten Voraussetzungen für einen angehenden Bariton. So schlug Jalacy J. Hawkins, wie der Shock-Rocker mit bürgerlichem Namen hieß, vorerst einmal eine gar nicht so erfolglose Boxerkarriere ein, um sich bei dieser Gelegenheit einen schlagkräftigen Argumentationsvorsprung zu verschaffen, der ihm während seiner musikalischen Laufbahn oft zum Vorteil gereichte. Womit wir wieder beim Klatsch angelangt wären: Von Schießereien auf der Bühne ist da die Rede, von Drogen, Mord und Vergewaltigung. Legenden wahrscheinlich, denn Jalacy J. Hawkins starb als freier Mann. Und wenn dieser Umstand heutzutage auch nicht mehr allzuviel über die Integrität so manches Bürgers auszusagen vermag, ist wohl eher anzunehmen, daß sich Mr. Hawkins "letale" Konfrontationen auf das Einschlagen der Vorderzähne etwaiger Bühnenrivalen beschränkte - alles in allem also ein bemerkenswerter, wenn auch nicht gerade friedliebender Zeitgenosse. Und auf jeden Fall einer, der den Freuden des Fleisches nicht abgeneigt war: Schenkt man den Gerüchten Glauben, so hat Screamin´ Jay im Laufe seines bewegten Lebens an die hundert (!) Nachkommen gezeugt. Musikalisch brachte es der Blues-Exzentriker jedoch auf erheblich weniger Geburten: Seinen bekanntesten Song nahm er 1956 für das Rhythm´n´Blues-Label Okeh auf: "I Put a Spell on You". Zeit seines Lebens sollte Jay an diesem Meisterwerk gemessen werden, das nur in zahmer Fassung im Radio gespielt werden durfte. Detail am Rande: Die temporäre Intoxikation des wilden Jay war während der Studioaufnahmen derart fortgeschritten, daß er sich bei späterer Gelegenheit partout nicht an den Text des Songs erinnern konnte. Kurz vor einem Auftritt - so weiß die Legende zu berichten - mußten ihm seine Mitmusikanten die Lyrics des Titels erneut beibringen. In den folgenden Jahrzehnten folgte eine ganze Reihe weiterer und nicht minder energiegeladener Blues-Geschosse, doch kein Titel erreichte die Verkaufszahlen von "I Put a Spell on You". Mysteriöserweise fand der Hit, obwohl er millionenfach über die Ladentische wanderte, nie den Weg in die Charts - dafür fanden ihn andere. In den Sixties wurde der Song recht gern von ambitionierten Epigonen (eher mäßig) gecovert. Creedence Clearwater Revival seien hier als die bekanntesten Abkupferer genannt, deren - wenn schon nicht inspirierte, so wenigstens kommerziell erfolgreiche - Interpretation Jahrzehnte später nur noch von einer an Schlechtigkeit überboten werden sollte: Rock´n´Roll-Gartenzwerg Marilyn Manson wagte sich für David Lynchs Film "Lost Highway" an eine recht dünne und darum auch wenig beachtete "Spell"-Version, die schnell ihren verdienten Weg in den Mistkübel der Pop-Geschichte antrat. Doch zurück zum Meister: Oberflächlich betrachtet tat sich bei ihm, abgesehen vom unvergleichlichen "Constipation Blues" im Jahre 1967, in den Folgejahren musikalisch eher wenig; dafür erinnerte sich Mitte der achtziger Jahre der Film an den kultigen Sänger: Jim Jarmusch besetzte in seinem Streifen "Mystery Train" eine Rolle mit Jay, und im Jahre 1997 reüssierte der Bluesman in Alex de la Iglesias humorigem Brutalo-Kultmovie "Perdita Durango". Was Screamin´ Jay Hawkins als Musiker versagt blieb, kompensierte sein total kaputtes Image. Stets mußte die skandalöse Kultfigur dem genialen Musiker die Stange halten. Es galt ein sensationslüsternes Publikum zufriedenzustellen, das an der musikalischen Darbietung zumeist nur peripher interessiert war. Auf Festivals wurde Jay oft in der Hoffnung eingeladen, daß dann für Gesprächsstoff gesorgt war - vielleicht würde er ja jemandem den Kopf abschießen oder einen seiner Musiker verprügeln, weil der sich in den unendlichen Weiten der Blues-Scale verirrte. Bloß geschah zumeist nichts dergleichen. Jay war exzentrisch, brüllte, gackerte, war obszön, schrie sich die Seele aus dem Leib, aber sein altes Gewehr ... das war niemals scharf geladen. |
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