23-03-2001/Abteilung: Literatur

Als William M. Gaines 1946 von seinem Vater den Verlag Educational Comics (später Entertaining Comics) - kurz E.C. - übernahm, ahnte niemand, welche Reaktionen seine mitunter blutrünstigen Publikationen wenige Jahre später auslösen sollten. Die erbarmungslose Treibjagd der Moralapostel übertraf die bizarren Szenarien der berüchtigten E.C.-Hefte bei weitem. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen.... r.evolver wagt sich in die Gruft des Terrors.

Waren die klassischen Comic-Superhelden amerikanischer Provenienz während des Zweiten Weltkriegs noch ausreichend damit beschäftigt, alle möglichen und unmöglichen Schergen des Faschismus zu bekämpfen, so machte sich nach Unterzeichnung des Waffenstillstands in den Reihen der Unbezwingbaren eine Art Burnout-Syndrom bemerkbar. Die Comic-Verlage reagierten auf das abnehmende Interesse der Leserschaft an stählernen Helden, deren fiktive Fähigkeiten im Schatten realer militärischer Glanzleistungen verblassen mußten, und die Zeichenbüros wandten sich einem neuen Genre zu, das nach relativ kurzer Auflagenflaute rasch wieder für frischen Wind am Heftmarkt sorgte. Drei wesentliche Umstände mochten ebenfalls förderlich für die Entwicklung gewesen sein: Erstens waren die Söhne zurückgekehrt oder begraben; zweitens hatten mit dem Einzug des Alltags in die amerikanischen Haushalte auch die üblichen Schlagzeilen ihren Weg auf die Titelseiten der Boulevardblätter gefunden; und drittens war der nächste militärische Konflikt (Korea) noch kein Thema, und der Kalte Krieg schon gar nicht (oder nur in Geheimdienstkreisen)

Es verwundert also keineswegs, daß US-Comic-Verlage ihre Inhalte gegen Mitte der 40er mit den ältesten Slogans der Menschheit ans Lesevolk brachten. Verbrechen, Mord und Totschlag erwiesen sich nach Jahren heulender Luftschutzsirenen und allgemeiner Spionagehysterie als kräftige Zugpferde im Kampf um Marktsegmente. In weiser Voraussicht startete Charles Biro mit "Crime Does Not Pay" bereits 1942 eine der erfolgreichsten Comic-Serien des sogenannten "Goldenen Zeitalters" - und die Heftreihe legte nach dem Krieg noch ordentlich an Auflage zu. Der Kritiker Mike Benton bezeichnete den brutalen Comic, der sich vor allem durch die grobe und explizite Darstellung sämtlicher bekannter Verbrechens- und Tötungsarten auszeichnete, schlicht als "10-Cent-Eintrittskarte zu einer öffentlichen Exekution". Biro kosteten derart heftige, wenn auch zutreffende Worte freilich nur ein mildes Lächeln, denn die Auflage seiner reißerisch aufgemachten Comics hatte sich innerhalb weniger Jahre verfünffacht.

Womit William M. Gaines ins Spiel kommt: Der junge Verleger griff 1946 mit "War Against Crime" und "Crime Patrol" den Trend auf und schuf somit seine eigene Interpretation des seit Shakespeare überaus beliebten Themas "Mord, Totschlag und die Folgen". Den beiden Serien folgte im Oktober 1950 die legendäre Reihe "Crime SuspenStories", die heute gemeinhin als die charakteristischste Serie der "harten Welle" bezeichnet wird. Im Gegensatz zur Konkurrenz versuchte die Mannschaft um Chefredakteur Al Feldstein jedoch nicht nur das Verbrechen und seine Folgen ebenso variantenreich wie schonungslos darzustellen, sondern bemühte sich auch um eine anspruchsvolle graphische Umsetzung sowie die notwendige soziale Transparenz. Manch grausiges Geschehen spielte sich nicht mehr im Rahmen üblicher Klischees und Schauplätze ab. Waren es bei Biros "Crime Does Not Pay" noch düstere Viertel, in denen das Verbrechen blühte, so lag der soziale Fokus der "Crime SuspenStories" zumeist auf einer dem Leser durchaus vertrauten Umgebung. Plötzlich wurden Arbeitsplatz oder Familie zum Schauplatz des Verbrechens...

Mit Horror geht´s weiter

Untersuchungen belegen, daß die einschlägigen Genre-Publikationen mitnichten nur mehr von Kindern oder Jugendlichen gelesen wurden. Die Comics hatten die Phase der Pubertät endlich überwunden, wenn auch nur für kurze Zeit - schon bald sollten die weiteren Ereignisse für eine in jeder Hinsicht regressive Entwicklung sorgen.

Wie gesagt, der Altersdurchschnitt bei den Crime-Heften lag im Schnitt höher als beispielsweise bei den Superhelden-Comics: 57 Prozent der Käufer von "Crime Does Not Pay" waren über 21. Genau dieses Publikum hatte Gaines im Visier, als er Anfang der 50er Jahre, motiviert durch den Erfolg seiner "Crime SupenStories", eine Reihe neuer Comic-Serien - die E.C. für kurze Zeit zum kreativen Marktführer in Sachen Gänsehautgeschichten werden ließen - herausbrachte: "The Crypt of Terror" (später "Tales from the Crypt"), "The Vault of Horror" und "The Haunt of Fear" boten ab 1950 düstere Grusel-Storys, die ebenfalls nicht die üblichen Sujets bemühten. Nicht das gute alte Spukschloß nebst obligatorischen Geistererscheinungen stand im Mittelpunkt des Geschehens, sondern vielmehr die beunruhigende und beklemmende Atmosphäre des Alltäglichen sowie die vielen skurrilen Figuren, die gewohnte Lebenswelten bevölkern - so z. B. die Gestalt des sinnkrisengeschüttelten Henkers, der in seiner Freizeit des Mordes verdächtigten Angeklagten (die er trotz des richterlichen Freispruchs für schuldig hält) auflauert, um sein persönlich gefälltes Urteil grausam in die Tat umzusetzen. Und zwar solange, bis er sich schließlich selbst zum Schafott begeben darf...

Mit anderen Worten: Dem Leser eröffnete sich nie zuvor erfahrener subtiler Horror. Die ausgefeilte Dramaturgie der E.C. Comics erfährt zumeist am Höhepunkt der Story mittels drastischer Zeichnungen einen spannungsgeladenen Bruch. Die schockierenden Darstellungen stehen jedoch in keinerlei Widerspruch zum perfekt gestrickten Handlungsgerüst und zielen somit weniger auf einen billigen Effekt denn auf eine gelungene Pointe ab. Diese virtuose Synthese von Splatter-Effekten und originellem Plot läßt den Rezipienten auch heute noch in eine unheimliche Umgebung eintauchen, die bei aller Entrücktheit der "normalen" Umwelt gefährlich nahe kommt. Und genau dieser Umstand macht nach wie vor den Reiz der E.C.-Geschichten aus.


EC-Comics

Bezugsquelle(n):
 div. Antiquariate 

Link:
EC Comics Online


 

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