Stories_Hard Case Crime
Mord mit Geschmack
Wirklich guter Krimi-Stoff, Marke dunkelschwarz, ist hierzulande rar geworden. Da kommt die Übersetzung der US-Reihe Hard Case Crime gerade recht: Hardboiled-Romane, die nicht nur tödlich spannend sind, sondern dank verlegerischen Rückgrats auch noch höllisch gut ausschauen.
Endlich mal was G´scheit´s, meint Martin Compart.
05.12.2008
Zuerst eine Verlagsschelte: Nie war es für den Noir-Fan schwieriger als heute, in der Flut deutscher Buchveröffentlichungen anspruchsvolle, düstere Thriller zu entdecken.
Sicher, man kann gezielt nach seinen Lieblingsautoren suchen (in der Hoffnung, daß die auch weiterhin einen deutschen Verleger finden) - aber um einen neuen Star zu entdecken, bedarf es meist eines guten Tips durch den Kriminalbuchhändler der Wahl. Denn falls es mal eine lohnenswerte Veröffentlichung gibt, geht diese meist im Brei der Allgemeinen Reihen der Taschenbuchverlage unter. Und die Intelligenzbestien in den Verlagen wundern sich dann, daß das Buch "sein Publikum" nicht gefunden hat. Warum ist das heute so? Wo sind die goldenen Zeiten der 80er geblieben, in denen sich der Interessierte ganz auf die Reihe seines Vertrauens verlassen konnte?
Wie überall in der Wirtschaft hat auch in den Buchverlagen seit den 90er Jahren das Marketing die Macht übernommen. Die Folge ist ein Bestseller-Wahn, in dem immer weniger Bücher immer mehr Umsatz und Gewinn einfahren müssen. Das Lektorat ist oft zu einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für junge Literaturwissenschaftler verkommmen, die vielleicht eine Anthologie mit moderner Lyrik zusammenstellen können, aber von demokratischer Kultur - der Popkultur - keinen Schimmer haben. Sie bekommen "von oben" meist nur die Anweisung, sich an den jeweiligen Trend anzuhängen.
Laufen gerade "Frauen, die Prosecco kotzen"-Titel, dann werden eben ähnliche Bücher solange gemacht, bis sie keiner mehr sehen kann. Für den Kriminalroman heißt das: Laufen systemimmanente Weichspülgeschichten mit ein wenig grüner Sozialkritik und einer Kommissarin mit Menstruationsbeschwerden, dann machen eben alle Verlage Weichspülgeschichten mit ein wenig grüner Sozialkritik und Kommissarinnen mit Menstruationsbeschwerden. Damit wird dann ein bestimmtes Publikum weiterhin infantilisiert, und die anspruchsvollen Leser bleiben im Regen stehen und ziehen sich auf die wenigen Autoren ihres Vertrauens zurück. Die Verlage haben Anfang der 90er Jahre ohne Not ihre Reihen gekillt, weil sie glaubten, verschiedene gutgängige Autoren in den Allgemeinen Reihen besser vermarkten zu können. In dem einen oder anderen Fall hat das auch funktioniert.
Aber wie kurzsichtig! Mit dem Tod der Reihen nahmen sie neuen Autoren die Chance, sich in einer klar umrissenen Zielgruppe ein Publikum aufzubauen. James Ellroy brauchte fünf Romane in der gelben Krimi-Reihe bei Ullstein, bevor er für Jahre zum Bestsellerautor aufstieg.
Nach heutiger Verlagsstrategie hätte er nicht die geringste Chance: Man würde ihn lieblos ediert und schlecht übersetzt in einer Allgemeinen Reihe veröffentlichen (wo ihn kein Noir- oder Hardboiled-Fan entdecken würde) und nach maximal drei schlechtverkauften Titeln wieder fallen lassen. Und er hätte nur wenige Chancen, von einem anderen Verlag weitergeführt zu werden, da er entweder als verbrannt gelten oder von anderen Lektoren nicht mal gekannt würde.
Wie pervers das Geschäft geworden ist, hat man speziell am Beispiel von Joe Lansdale einmal mehr erleben dürfen. Lansdale wurde in verschiedenen Verlagen herausgebracht, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. In meiner kurzlebigen Reihe Dumont Noir verkaufte sein Roman aber innerhalb von zwei Monaten die komplette Auflage (Dumont druckte nicht nach, da die Reihe eingestellt werden sollte. Heute setzt endlich der Berliner Kleinverlag Shayol die Lansdale-Veröffentlichungen fort). Weitere Beispiele gäbe es ohne Ende; ich habe noch ein ganzes Silo voll mit solchen zickigen Histörchen. Die Verlage - Ausnahmen bestätigen die Regel - reagieren auf Noir-Literatur wie tote Batterien. Es muß da so etwas wie eine spezielle Verleger und Lektoren-Hirnwelle mit sehr niedriger Frequenz geben. Sie ermorden wichtige Literatur und schmücken damit ihre Gräber. Wahrscheinlich verstößt es gegen ihre Religion, gute Noir-Romane zu veröffentlichen.
Begriffsstutzige Kritiker
Nach der Verlagsschelte jetzt die Kritikerschelte: Es ärgert mich nämlich sehr, daß ein mutiges Unterfangen von diesen selbsternannten Krimi-Spezialisten nicht die Flankendeckung bekommt, die es verdient. Zum Glück sind es nur wenige Gescheiterte und Gekränkte, die man wohl nicht zur Mitarbeit oder gar zur Herausgeberschaft gebeten hat. Dabei verdient ein zartes Pflänzchen wie eine deutsche Krimi-Reihe, die sich dazu noch auf die Hardboiled-Novel spezialisiert hat, doch jede Unterstützung: Hard Case Crime ist ein dunkler Fluß, und wir sollten mit Eimern am Ufer stehen.
Ulrich Kröger, der intelligente Rezensent der "Nordsee-Zeitung", hat völlig recht: Richtig scharfer Stoff nämlich ist das, was der Rotbuch-Verlag unter dem Reihentitel Hard Case Crime herausbringt. Die Reihe ist eine Übernahme aus den USA, wo sie seit Jahren erfolgreich vergessene Noir-Klassiker, gemischt mit neuen Autoren verbreitet (sehr zur Freude der EVOLVER-Redaktion; Anm. ders.). Darunter finden sich tolle Ausgrabungen wie das von mir hochgeschätzte Frühwerk von Lawrence Block oder Donald Westlake.
Nun meinten ein paar dümmliche Kritiker, der Reihe vorwerfen zu müssen, sie sei retro und die Auswahl mißlungen. Genauso ist es: Die Reihe ist etwa zu zwei Dritteln retro - und das ist verdammt gut so. Nicht jeder weiß, wonach er bei AbeBooks fahnden soll, und wird durch die Reihe auf verlorene Gemmen aufmerksam.
Die Kunstwerke auf den Covers fangen den Stil der Ära perfekt ein - wüßte ich es nicht besser, würde ich wetten, daß die Bücher aus einem der alten Taschenbuchverlage stammen. Ich bin tief beeindruckt.
(Donald Hamilton, Schöpfer von Matt Helm)
Ein anderer hirnentkernter Kritiker warf den Covers sowas wie "handwerklich schlecht" vor. In seiner Bildungslosigkeit weiß er nicht, daß sich diese Umschlagbilder bewußt an die der Paperback-Originals der 50er Jahre anlehnen (da war natürlich auch nicht jeder Gestalter ein James Avati, Robert McGinnis oder Stanley Meltzoff). Das verleiht den Büchern einen zusätzlichen Charme. Und richtig lustig wird dieser Kritiker, dessen pseudointellektuelles Geschwätz zum Glück noch nicht als Nachwort bei HCC aufgetaucht ist, wenn er bei den Noir-Frauen bemängelt, es seien "schicke Blondinen, an die man lebensweltlich gesehen eh nie rankommen wird". Abgesehen von meinem Bedauern für dieses schwere Schicksal (bei solchen Laberpäpsten nehmen schicke Blondinen halt reißaus) zeigt er nur, daß er keine Ahnung vom Genre hat - was sich auch in despektierlichen Worten zu Larry Block und Donald Westlake niederschlägt. Mich kotzen diese Typen an, die schlechten Stil und den inflationären Gebrauch von Fremdwörtern mit Intellektualität verwechseln.
Ja ja, die liebe Auswahl! Wenn ich Herausgeber wäre, würde ich sicher ein paar andere Titel aus den bisher mehr als 50 in der "Heimatreihe" auswählen (trotzdem: Die ersten drei Titel sind allererste Sahne!). Ist doch klar. Das ist der Job eines Herausgebers: nach seinem Geschmack zu entscheiden, was rein soll und was nicht. Blödsinn, jemandem so etwas vorzuwerfen. Der Luxus, aus vielen schönen Titeln nur eine begrenzte Menge auswählen zu können, ist nämlich gleichzeitig auch eine Qual. Frustrierte Möchtegern-Herausgeber als Kritiker sind immer problematisch (wie ich in schmerzhafter Selbsterkenntnis an mir selber erfahre).
Die Reihe
Sicher werde ich den einen oder anderen Autor von HCC an dieser Stelle noch gesondert würdigen. Daher jetzt nur kurz ein paar besonders empfehlenswerte Titel: Für mich ist der bisherige Höhepunkt der Reihe Flop, der erste Band der Max-Fisher-Trilogie von Ken Bruen und Jason Starr. Ein Hammer, das Ding! Läßt einen nicht mehr los. Da wäre es schön, wenn die Folgetitel bald erschienen.
Begeistert hat mich auch die Neuauflage von Lawrence Blocks Mona. Hier zeigt sich auch die Klasse der Verlagsarbeit: Statt auf die alte Heyne-Übersetzung zurückzugreifen (die unter aller Sau war), hat man das Buch neu übersetzt. Ähnliches muß ich auch über die Neuausgabe von Donald Westlakes Klassiker Mafiamord sagen. Der frühe Westlake, der konsequent auf sein Alter ego Richard Stark und die Parker-Romane hinsteuerte, hatte es in sich. Mir sind die viel lieber als seine Dortmunder-Comedies.
Ein weiteres Highlight für uns Unbelehrbare ist die deutsche Erstveröffentlichung des Fragments Das Ende der Straße von Mickey Spillane, beendet vom zu wenig gewürdigten Max Allan Collins (dem größten Multitalent unter den zeitgenössischen Schriftstellern).
Die ersten drei Titel (Ken/Bruen, Guthrie, Block) sind übrigens auch als Hörbücher erschienen - ganz wunderbar gelesen von Reiner Schöne, der immer genau den richtigen Ton trifft. (Im Gegensatz zum Kollegen Trash bin ich ein Freund von Hörspielen und Hörbüchern, besonders wenn ich im täglichen Stau stehe.)
Also, Freunde der politisch unkorrekten Literatur, des schwarzen Thrillers, schicker Blondinen, Brünetter und Rothaariger und harter und verzweifelter Kerle, die nachts noch Zigaretten holen gehen: Besorgt euch die Bücher der Reihe. Kauft sie alle! Irgendwann werden sie als Sammlerstücke sowieso hoch gehandelt werden. Und verschenkt sie. Bald ist Weihnachten - und nichts konterkariert die Verlogenheit einer nadelnden Tanne besser als darunterliegende Hard-Case-Krimis.
Martin Compart
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