Spät, aber doch hat sich auch die Viennale der japanischen "New Wave of Horror" angenommen. Das cineastische Grauen aus dem Land der aufgehenden Sonne ist breit gefächert - von schaurig-schön über extrem gruselig bis hin zu brachialer Brutalität. Jürgen Fichtinger begibt sich anläßlich des "Restless Souls"-Specials auf einen Rundgang durch das Reich des japanischen Neohorrors.
Szenenbeschreibung: Mehrere Polizisten stehen ratlos in einer Wohnung herum. Zu ihren Füßen liegt eine Leiche mit geöffneter Schädeldecke. Das daraus entnommene Gehirn köchelt langsam in einem Suppentopf auf dem Herd.
Die Anfangssequenz aus "Another Heaven" ist beispielgebend für die vielen Horrorfilme, die Ende der 90er Jahre in den japanischen Kinos landeten. Während Hollywood sich auf altbewährte Rezepte verläßt und einen Klassiker nach dem anderen neu verfilmt oder aber das "Zehn kleine Teenagerlein"- Motiv aus "Scream" zum x-ten Mal aufwärmt, brodelt es in der japanischen Kinolandschaft bedrohlich wie nie zuvor. Doch es ist keineswegs der übliche 08/15-Horror, der aus Nippon kommt - stattdessen erlebt das "Psycho-Grauen" seinen wohl größten Boom seit langem.
Und dabei fing alles ganz harmlos an...
Erste Wortmeldung
Es war ein unscheinbarer Roman, der 1991 den Stein ins Rollen brachte; er hieß "Ring" und stammte von Suzuki Koji. Die darin erzählte Geschichte erinnert an eine typische Großstadtlegende, angesiedelt irgendwo zwischen dem Candyman und den Riesenkrokodilen in der Kanalisation. Unter den Jugendlichen Tokios geistert ein mysteriöses Videoband umher. Jeder spricht darüber, alle wollen es unbedingt sehen. Doch wer die Gelegenheit dazu erhält, hat nur noch eine Woche zu leben, denn auf dem Video lastet ein Fluch.
Wer hätte gedacht, daß dieses Buch ganz allein für das Revival des qualitativ hochwertigen japanischen Horrorfilms verantwortlich sein würde? Grusel-, Geister- und Mystery-Streifen gab es im Inselreich ja schon immer, auch in den Neunzigern - man denke nur an die unzähligen "Kaidan"-Movies, die auf einem Manga basierende "Wizard of Darkness"-Reihe oder die neueren Abenteuer des Herrn Kindaichi (sen. und jun.). Kaneko Shusuke schaffte es mit "My Soul Is Slashed", dem fast schon ausgelutschten Vampirfilm wieder ein wenig Pep zu verschaffen, und Muroga Atsushi (bekannt für das bleihaltige Gangster-Spektakel "Score") lieferte mit seinem "Junk" wohl den einzig nennenswerten Zombiestreifen seit Romeros "Day of the Dead".
Verglichen mit "Ring" waren all diese Filme jedoch bestenfalls kleine Fische. Keiner von ihnen schaffte es nämlich, den Zuseher so in seinen Bann zu ziehen wie dieses schreckenerregende Juwel. 1995 wurde der Roman erstmals von Chisui Takigawa für das Fernsehen adaptiert; drei Jahre später erschien dann Nakata Hideos legendäre Kinoversion, die selbst hartgesottenen Schockexperten und Splatterfreaks das Fürchten lehrte.
Der Horror, den Nakata in "Ringu" serviert, ist subtiler Natur. Statt das Publikum mit konstruierten Schockeffekten oder blutigen Metzeleien zu unterhalten, zieht der Regisseur es vor, sich auf subtile Weise ins Angstzentrum jedes einzelnen zu schleichen. Wenn das Grauen dann aber tatsächlich einmal zuschlägt, erschüttert es bis ins Mark und läßt nicht nur sensiblen Gemütern die Nackenhaare zu Berge stehen.
Auf besagtem Videoband, das auch schon das Kernstück des literarischen Vorbilds war, finden sich nämlich Projektionen aus dem Geist einer jungen Frau namens Sadako wieder. Diese hat - genau wie ihre Mutter Shizoku - übernatürliche Fähigkeiten. Während sich die Gabe bei der Frau Mama jedoch nur geringfügig manifestierte, trat sie in der Tochter schon in jungen Jahren in erschreckendem Ausmaß zutage. Als Shizoku eines Tages ihr Talent in einer Art Pressekonferenz zur Schau stellen soll, wird sie von den anwesenden Journalisten verspottet. Sadako demonstriert den sensationsgeilen Schmierfinken daraufhin, was es heißt, ein PSI-Kind zu sein - und tötet einen der Schreiberlinge durch schiere Willenskraft. Um zukünftiges Übel zu verhindern, wird sie von ihrem Vater daraufhin kurzerhand in einen Brunnen gestoßen, und die Öffentlichkeit beginnt das Mädchen zu vergessen. Bis dann schließlich die ominöse Videokassette auftaucht und Sadakos Geist Rache übt...
Was den Film "The Ring" letztlich einzigartig macht, ist Nakatas Art der Inszenierung. Gänzlich unspektakulär erzählt er die Geschichte der Journalistin Asakawa Reiko, die über die Geschichte vom verfluchten Video stolpert. Sie beginnt Nachforschungen anzustellen und holt sich dabei Unterstützung von ihrem Exmann Takayama Ryuji. Gemeinsam dringen sie immer tiefer in die mysteriöse Story ein und bringen so Stück für Stück Sadakos Geschichte ans Tageslicht, bis sie schließlich sogar den Brunnen entdecken. Das Problem ist nur, daß beide zuvor das Tape gesehen haben und ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt.
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