Ulrich Schnauß’ Erstlingswerk paßt hervorragend in die Reihe der "Electronic Listening"-Veröffentlichungen, die zur Zeit die Verkaufsregale überschwemmen: klare Komposition, hart an der Grenze zur Süßlichkeit.
Abseits von schnödem Kommerz, Retrofetischismus und Hitparaden-Abzockerei hat sich in den letzten Jahren in Deutschland eine kleine, feine, unabhängige Labelszene gebildet. Ob "City Center Offices", "Morr" oder "MAS" - es mangelt keineswegs an Tonträgern. Die Palette reicht von langweilig (FS Blumm/Morr Music) bis hin zu echten Warp-Konkurrenten (Arovane, Phonem etc.). Zwischen Berlin und Köln liegt also eine breite Spielwiese für Elektronikmusiker aller Schattierungen. Diese wird kunstvoll hochgezüchtet und von findigen Gärtnern wie Christian Kleine (siehe EVOLVER-Review) oder eben Ullrich Schnauß liebevoll gepflegt.
Bei der Fülle von Impressionen, die auf "Far Away Trains Passing By" herausgearbeitet werden, zwingt sich die Frage auf, in welchem Zeitraum dieses Soloalbum eigentlich entstanden ist. Auch interessant wäre zu erfahren, wer die drei Jungs auf dem Cover sind, die am herbstlichen Meeresstrand mit einer Videokamera hantieren. Die können doch nicht gemeinsam Ullrich heißen, und wer bitteschön ist Judith? Ein bißchen mehr Information am Cover wäre recht hilfreich gewesen.
Beim Hören der Stücke wie "Knuddelmaus" oder "Blumenwiese neben Autobahn" drängen sich ganz automatisch Erinnerungen an Analogpioniere wie "Kraftwerk" oder "Neu" auf. Die Songstrukturen sind jedoch um einiges simpler ausgelegt und folgen dem ABACAA-Schema ohne unnötige Umwege. Gefilterte Hiphop-Softbeats verleihen die nötigen Rundungen, und daß man auch spacige Musik ohne Aphexsche Kinderklavier-Pentatonik machen kann, wissen wir schon seit Boards of Canadas vielbeachtetem Release "High Scores" (Skam 1996).
Der Berliner Ullrich Schnauß schafft allerdings noch etwas anderes: Beim Hören seines Debütalbums stellt sich so unverhofft und spontan Wohlempfinden ein, daß man geneigt ist, die Platte immer wieder und wieder zu hören - und das bei Stücken, die im Durchschnitt nicht unter sechs Minuten dauern. So locker und leicht webt er seine Ambient-Sphären und Klavierpassagen, daß man von einer Verzückung zur nächsten gleitet. Bloß "Molfsee", die letzte Nummer des Albums, besitzt eine Harmonieabfolge, die der erfahrene Elektronik-Sammler schon auf so manchem alten Warp-Tonträger vernahm. Was umso weniger stört angesichts der Tatsache, daß Ulrich Schnauß auf demselben Label veröfffentlicht wie sein Kumpane Christian Kleine. Glücklicherweise sind ihre Kompositionen unterschiedlich genug, um keine Wiederholungsflagge hieven zu müssen.
Im Jahr des Palindroms wird sich "Electronic Listening" noch weiter emanzipieren und vielleicht wird "Neue Deutsche Elektronik" wieder ein Begriff wie einst "Kosmische Musik". Mit Interpreten wie Schnauß oder Kleine dürfte das kein allzu großes Problem sein.
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