Mit einiger Verzögerung ist nun endlich das langversprochene neue Solvent-Album in den heimischen Regalen angelangt. Und mit "Solvent City" liefert Jason Amm auch gleich sein bislang reifstes Werk ab.
"Retro" ist inzwischen ein ziemlich ausgelutschter Begriff. Was mußten wir in den letzten zwei, drei Jahren nicht alles an Anachronismen über uns ergehen lassen?! Das ging von Breakdance bis hin zu deutschem Acid, vom gehirnlosen Bummbumm-Elektro der Detroiter Knüppelfraktion ganz zu schweigen...
Daß sich ausgerechnet ein junger Kanadier namens Jason Amm geschworen hat, der aktuellen Retro-Szene Leben und Emotionen einzuhauchen, zeigt allein schon, wie sehr der Kommerz die zeitgenössische Elektronik dominiert. Denn um nichts anderes geht es hier. Synth-Pop ohne Stimme ist an sich schon eine gewagte Sache - obwohl natürlich nichts Neues (mit feuchten Augen denkt der reifere Hörer an D´Arc Angelos wunderschöne Alben).
Diese Kanada-Lizenz-Connection ist übrigens ein guter Deal für das deutsche Label Morr (siehe EVOLVER-Review von Manual und F. S. Blumm). Solange solche Acts bei seiner Indie-Plattenfirma vertrieben werden, kann es sich Thomas Morr ruhig leisten, mit Releases wie F. S. Blumms "Mondkuchen" gelegentlich im Nebel zu stochern.
Doch nicht nur in Deutschland gilt "Solvent" als Geheimtip der Szene - auch hierzulande entdeckten aufmerksame heimische Frickler wie z. B. Gerhard Potutznik den MS 20-Fanatiker; für die "Suction Records compilation #2" wurde daher flugs eine gemeinsame Nummer (G. D. Luxxe und Solvent - "Quiet Life") eingespielt, die ganz sicher ein Synthie-Favorit bleiben wird.
Der typische Solvent-Sound deriviert aus altem Analog-Equipment wie z. B. Roland S-750, Jupiter-6, TR-808, DEP-5, KORG MS-20, SDD-3000, EMU SP-12, um nur ein paar Glanzstücke seiner Synthie-Sammlung aufzuzählen. Auf "Solvently One Listens" (1999) findet sich auch eine Aufzählung seiner Einflüsse: Human League, Yazoo, Skinny Puppy, Soft Cell, Depeche Mode und natürlich Fad Gadget. Das erklärt natürlich vieles, vor allem die Stimmung.
Trotzdem wabert zusätzlich noch etwas sehr Spezielles um Solvents Musik - so etwas wie eine magnetische Aura; die Kompositionen sind geheimnisvoll und von großer düsterer Schönheit, wirken klar strukturiert, klingen kühl und modern. Die Beats geben mitunter ordentlich Gas, das Sequenzing würde Liasons Dangereuses auch gut zu Gesicht stehen, und manchmal greift sich Jason sogar das Mikro, um mittels Vocoder-verzerrter Stimme den klappernden Songs noch mehr Harmonie zu verleihen. Diese Passagen klingen dann fremdartig wie halb vergammelte SF-Erzählungen der frühen 50er Jahre und gar nicht kraftwerkisch, wie oft behauptet wurde.
Natürlich hört sich auf diesem Album auch vieles vertraut an. Man denkt unwillkürlich an Bochum Welt, D´Arc Angelo und natürlich Skanfrom aus Berlin. Es ist ja auch kein Zufall, daß auf "Solvent City" Kumpel Lowfish mal kurz im Studio vorbeikommt und einen Mix ablegt, der nicht von schlechten Eltern ist. "Sleeping Cat", der letzte Track der LP (die CD wartet demgegenüber mit etlichen zusätzlichen Songs auf), ist einer der besten Synthie-Pop-Songs, die jemals auf Vinyl gepreßt wurden. Da paßt einfach alles: die Melancholie, die stets nach unten schreitende Hookline und die notorische Bassdrum, die erst drei Minuten nach Beginn einsetzt. Spannender kann man heutzutage reduzierte Synth-Musik gar nicht machen. Danke, Jason!
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