Lagerfeuer-Laptops

Es mag ja stimmen, daß Thomas Morr auf seinem Label zur Zeit einfach zuviel veröffentlicht - doch Manuals aktuelles Werk "Until Tomorrow", ein aus neun Songs bestehendes Minialbum, macht mehr als nur einen mittelmäßigen Release wieder wett.

Wir erinnern uns noch lebhaft: Vor gar nicht allzulanger Zeit war es praktisch unmöglich, live in stereo zu spielen. Heute jedoch, in der Zeit des Desktop-Musizierens, kann jeder noch so bescheidene Loop-Addict ganze Symphonien (oder Kakophonien) aus seinem Laptop quetschen. Mittels der "neuen" Technologien lassen sich so gut wie sämtliche Stile bequem zu Hause, privat, in den eigenen vier Wänden umsetzen und professionell produzieren. Ob "Clickhouse", "New Isolationism" oder "Industrial" - alles ist möglich.

Der im dänischen Odenese lebende Jonas Munk Jensen, der bereits durch seinen Release auf Hobby Industries positiv auffiel, demonstriert mit dem Nachfolgetonträger "Until Tomorrow" einmal mehr, daß es wieder höchste Zeit ist, die Wandergitarre aus dem Keller zu holen. Denn er hat erkannt, daß sich elektronische Musik weiterentwickelt, und zwar in eine sensible, harmonische Richtung.

Als Vorreiter für diesen neuen Minitrend gelten vor allem Privatlabels wie Morr, Neo Ouija, City Centre Offices und Defocus. Allen gemeinsam ist die Auffassung, daß das Leben schon hektisch genug ist und Elektronik auch einfühlsam sein kann. Was in den siebziger Jahren begonnen wurde, in den Eighties zu einem Höhenflug ansetzte und in den Neunzigern vom stupiden Techno fast zu Tode getrampelt wurde, läutet jetzt das neue Jahrtausend ein. Der Kreis schließt sich.

Es war schon immer spannend und vor allem klanglich lohnend, analoge mit digitalen Instrumenten zu kombinieren (was beiläufig stets eines der größten Geheimnisse von Cabaret Voltaire war). Manual improvisiert nicht viel; die Songs bauen sich meist aus einem Gitarren-Lick auf. Die herbstlich-melancholischen Klänge der Gitarre erinnern an die vergangenen Tage von Durutti Column, aber auch an Christian Kleines postmodernes Gitarrenspiel (vgl. "Tides", gemeinsam mit Arovane).

Das Ganze garniert Manual, voll des jugendlichen Ungestüms, mit Breakbeats Marke Aphex Twin sowie schnalzenden LoFi-Hats und Snares und allem, was sonst noch nötig ist, um knisterndes Shufflen zu erzeugen. Irgendwann überkommt ihn dann auch noch Lust, in die Tasten zu greifen; und so tauchen meist nach dem dritten oder vierten Loop-Durchgang wunderschöne Keyboard-Layers auf, die - im Hintergrund bleibend - viel zur Schönheit der Kompositionen beitragen. Auch hier wäre ein Vergleich mit "Tides" von Arovane angebracht, aber Manual ist straffer, klarer und - bescheidener.

Es braucht nicht immer viel zu sein, wie uns ja schon die Systemtheorie lehrt: Das "Ganze" ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Die neue Bescheidenheit liegt genau in der Freude und dem Willen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren: die Melodie. Manual baut dann drumherum ein Gefüge mittels oben beschriebener Zutaten. Das alles ist natürlich nichts Neues, aber es klingt trotzdem so wunderbar, daß jeder Musikinteressierte, der "Until Tomorrow" zum ersten Mal hört, sofort entzückt ist.

Manuals Melodien sind simpel und bestechend zugleich. Manchmal bestehen sie wirklich bloß aus zwei Noten, und der Zauber erwächst aus der liebevollen Aufbereitung und der Pentatonik, die sich quer durch das Album zieht. Die Piano/Glockensounds, die perkussiven Cuts und die herrlichen Ambient-Layers machen Manuals "Until Tomorrow" mit Abstand zu einem der besten Releases auf dem aufs wärmste empfohlene Morr-Label.

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