Stories_Schmutz & Schund

A Private Education

Jeder versucht sich am Trash - doch nur wenige wissen, wie er wirklich funktioniert. Um das Kunstschul-Unwesen hintanzuhalten, lud die österreichische Literaturzeitschrift "etcetera" zur Präsentation ihrer "Schund"-Ausgabe daher den Privatgelehrten zu einem Vortrag, der es wissen muß: Dr. Trash.
Der EVOLVER präsentiert dieses Manifest exklusiv - und fachgerecht illustriert - im Internetz. Wir bitten um höchste Aufmerksamkeit.    06.08.2007

Also, jetzt könnte ich so anfangen: mit den kleinen Vorstadtkinos, wo heute die Supermärkte drin sind, aber wo man damals fünfmal die Woche den streng jugendverbotenen Film schauen durfte, vom frühen Karate-Eastern bis zum "Letzten Tango". Das waren meistens Filme, die noch 90 Minuten dauerten, so wie ein anständiges Taschenbuch nicht mehr als 150, 200 Seiten hatte, weil dann alles gesagt war. Ich könnte auch vom Glamrock berichten, von T. Rex und Alice Cooper, von dieser ganz speziellen musikalischen Sozialisation, die einen von üblem Hippie-Dreck wie Bob Dylan und Neil Young fern- und solange am Leben hielt, bis endlich Punk daherkam.

 

 

Aber das wäre zu einfach. Erinnerungen hat ja ein jeder, auch an den Trash der frühen Jahre, die "Bessy"-Heftln und Kaugummibilder, all die sentimentalen Schätze, die er irgendwann entsorgen mußte, spätestens dann, als er den ersten ehelichen Haushalt gründete.

Mit sowas können wir uns nicht aufhalten. Das Motto des Privatgelehrten in Sachen "Schmutz und Schund", in Sachen "Popkultur", in Sachen "unsichtbare Kultur" muß und kann nur lauten: Herrschaften, wir sind nicht zum Vergnügen auf der Welt!

Und wir sind auch nicht zum Vergnügen HIER, an diesem Abend, wo wir alle so gemütlich herumsitzen und uns fühlen wie Wissende, wie die Bewohner einer literarischen oder sonstwie künstlerischen Metaebene, die den allgegenwärtigen Trash gesehen und verstanden haben, die sich herausnehmen, ihn zu analysieren und "kreativ" für ihre eigenen netten, kleinen Zwecke umzusetzen. Das ist zu einfach. Der intelligente Konsum der Popkultur, ihre Bewertung und Einordnung sind ebenso wichtig wie die Produktion der Popkultur selbst. Schließlich lauert der Feind überall - unter anderem in staatlichen Stellen, die "Institute für POPULARKULTUR" gründen ("POPULÄR" wäre ihnen zu einfach und zu volkstümlich) und damit glauben, die Sache in der Hand zu haben, sie unschädlich und systemunterstützend gemacht zu haben.

 

Aber die Popkultur, die Trash-Kultur, der Schund, sind natürlich immer noch da draußen, immer weit entfernt von denen, die da was in die Hand nehmen und glauben, es sich zueigen machen zu können, wenn sie bloß daraus zitieren und ein paar augenzwinkernd kluge Worte darüber loslassen. Sie wartet auf uns, sie wartet darauf, gefunden, entdeckt, geliebt und verstanden zu werden, geschätzt zu werden für das, was sie ist - und nicht für das, was man aus ihr machen will.

 

Was ich damit sagen will? Ich habe es in der neuen Ausgabe von "etcetera" schon angerissen, mit dem einen, alles entscheidenden Satz, den ich schon wieder nicht auf meinem Computer finde, weil mein Computer alles tut, um mich an der Erfüllung meiner Pflichten zu hindern. Aber er ging sinngemäß etwa so, der Satz: "Trash ist und bleibt Chefsache." Oder, um den großen Gonzo-Literaten Hunter S. Thompson zu zitieren - natürlich auch wieder ungenau, weil schon wieder keine Zeit war: Derart wichtige Dinge muß man den Profis überlassen. Und die Profis sitzen dann halt herum, oder sie liegen auf ihren Sofas, umgeben von ihren Kollektionen, die sie an seltsamsten Orten zusammengetragen haben, an all den Schauplätzen, wo die Kulturkritiker niemals eine Kultur vermuten würden. Und sie genießen, bewerten, studieren, vergleichen und teilen ihre Erkenntnisse anderen mit, die in anderen Bereichen dieses Trash-Universums, dieser unendlich vielen Paralleluniversen tätig und kundig sind.

Sie forschen, weil es viel zu forschen gibt, und sie wissen auch immer rechtzeitig, wann es Zeit ist, ein bestimmtes Thema abzulegen oder vielleicht für ein paar Jahre liegenzulassen, weil die trainierten Affen es sich plötzlich unter den Nagel gerissen haben und darüber Geräusche machen. Da gehört dann auch gnadenlos ausgemistet. Da muß dann eben mit einem weinenden Auge die gesamte "Barks-Library" weggegeben werden, in fremde Hände, weil ja heutzutage selbst im "Kurier" und wahrscheinlich schon im EU-Parlament - also beim Feind - aus den Übersetzungen von Frau Dr. Fuchs zitiert wird. Und da fallen plötzlich auch Hunderte mühsam angesammelte Easy-Listening-CDs einer Säuberungsaktion zum Opfer, weil das halt einfach nicht mehr geht mit dieser freundlich-geistesgestörten Gebrauchsmusik, weil ja leider jeder und sein halbdebiler Bruder plötzlich ein Lounge-DJ wird und das ganze obskure Zeug auflegt, das er früher - bevor FM4 und die anderen Medienwürschtln ihn angestiftet haben - nie angerührt hätte.

Der Trash-Sammler ist ja definitionsgemäß nicht nur stets wißbegierig, sondern immer auch arrogant und auf verdrehte Weise elitär: Wenn sein Sachgebiet plötzlich Sache des breiten Mannes von der Straße wird, ist es Zeit, wieder einmal ein paar Brücken niederzubrennen.

Trash erfordert aber auch große Leidenschaft, den Verzicht auf ein normales Leben, den Konsum unvorstellbarer Mengen Alkohol, Zigaretten, ungesunder Nahrungsmittel und Drogen - und vor allem Taschenbücher, Heftln, Videos, DVDs, Comics und Tonträger. Wobei ich betonen will und muß, daß vor allem die Drogen nur dem Selbstschutz dienen, weil es dauernd solche Unmengen zu archivieren gilt, Berge von Material zu sortieren, im Regal ebenso wie im Gedächtnis, und man irgendwann den Zwischenspeicher leeren sollte, damit man nicht wahnsinnig werden muß, sondern nach eigenen Vorgaben und in hochkorrekter Weise ganz von selber wahnsinnig werden darf.

 

Glauben Sie mir - und gerade bei diesem Thema ist es immer nützlich, dem Doc zu glauben: Es gibt mehr Dinge zwischen Grass und News, zwischen Henning Mankell und dem neuen ORF-Programm, als ein einzelner Menschenkopf in sich aufnehmen kann. Und das war schon immer so. Ich sage nur: Romantauschzentrale.

Diese heute fast gänzlich verschwundene Spezies der Trash-Versorgungsstelle war für den jungen Doktor praktisch die wichtigste Anlaufstelle, neben der schulisch angezüchteten Allgemeinbildung und der Städtischen Bibliothek, wo er schon in jungen Jahren die Existentialisten und die Surrealisten und die Absurdisten verschlang - wegen dem Weltschmerz und der Flucht vor abstrusen Themen wie Fußball oder Autos sowie dem dauernden Wunsch seiner nutzlosen jungen Mitmenschen, "fortzugehen", ja, gar "noch woanders hinzugehen", vor allem am Wochenende, in immer denselben sinnlosen Balz- und Jeanshosenritualen. (Wie schon mein seliger Stiefvater immer gesagt hat: "Warum soll i wohin gehen, i bin ja eh schon wo ...")

Zurück zur Romantauschzentrale: Die eine, spezielle war im 20. Bezirk, in der Gerhardusgasse, und befand sich in den Räumlichkeiten einer Habsburg-Wäscherei, die tatsächlich noch in Betrieb war, aber mehr nebenbei: Die resche Dame im weißen Arbeitsmantel übernahm die Wäsche, verpackte sie in Windeseile und fachgerecht und warf sie dann ins Hinterzimmer, bis der Habsburg-Wäschewagen anrückte, der für derlei Banalitäten zuständig war. Wichtig waren die Heftln, sonst nix. Das fing in der Unterstufe mit Comics an, von "Micky Maus" über "Lupo modern" bis zum genialen "Zack!", und ging dann zwanglos zu den Heftromanen über. "Jerry Cotton" wurde schon damals auf streng wissenschaftliche Art und Weise konsumiert, mit statistischen Auswertungen, in denen der Doc alle Verletzungen und Streifschüsse des berühmten G-Man notiert hat, ebenso wie die Anzahl der Tage, die ein einzelnes Romanheft- oder Taschenbuchabenteuer dauerte - und dann wurde amtlich hochgerechnet, was das auf 1000 Hefte umgelegt bedeutete: Jerry Cotton war - schon damals, bitte! - ca. 86 Jahre alt, hatte wegen der vielen Pistolenknäufe, die ihn ohnmächtig schlugen, eine weiche Birne wie ein Embryo im sechsten Monat, und dank unzähliger Schußverletzungen praktisch kein Fleisch mehr auf den Knochen.

 

Gern gelesen hat der junge Trash das alles trotzdem - genau wie die unwahrscheinlich guten Weltraumabenteuer von Perry Rhodan (in welchselbiger Serie dann viele, viele Jahre später der alte Trash übrigens sogar zweimal eine kleine Nebenrolle spielen durfte; aber das ist eine andere Geschichte), Kommissar Wilton und Kommissar X, die Lassiter-Western mit ihrer erstaunlich hohen Quote an erfolgreichen Geschlechtsverkehren, die Gruselkrimis von Dan Shocker, die "Dämonenkiller"-Heftln und und und. Was halt da war und daheim unterm Bett und in allen Regalen gestapelt werden konnte. Vieles davon wird heute von Spezialverlagen neu aufgelegt oder sogar weitergeführt; manches allerdings lebt nur in der Erinnerung fort - zum Beispiel die "Ronco"- und "Lobo"-Romanhefte, die anläßlich der Italowestern-Welle aufkamen, auf den Covern gezeichnete Versionen von Terence Hill und Charles Bronson hatten und Geschichten von harten Hunden erzählten, die immer auch glorreiche Verlierer waren.

Na, bitte - es geht schon los. Man verliert sich in Nostalgie, in diesen "Weißt du noch"-Stammtischgesprächen, die unter Trash-Kennern üblich sind, weil sie ja Gott sei Dank kein Privatleben haben, über das sie berichten müßten. Was könnte ich jetzt noch weitererzählen, über die bösen "Dr. Morton"-Romane, die irgendwann auf dem Index landeten, die Nick-Carter und Protoagent-John-Eagle-Krimis in der Ullstein-Reihe mit dem roten K und und und ... Und dann erst die Fernsehserien! Und die Filme!

Pfui.

 

Wenn es stimmt, daß wir in einer Gesellschaft des Spektakels leben - wie das sehr gescheite Leute postuliert haben; wenn es wahr ist, daß unser Universum mit der sogenannten Realität weniger zu tun hat denn je, sondern sich aus einer dicken Schicht von fluktuierenden Simulakren (ja, man muß auch gscheite Worte kennen ...) zusammensetzt - ja dann, verehrte Zuhörer, dann sind wir mitten im Zirkus. In der Sideshow, im Panoptikum. Und dann dürfen wir nicht nur zuschauen und uns erinnern; dann besteht unsere einzige Chance darin (vorausgesetzt, wir wollen überhaupt eine Chance und nicht nur mit der Fernbedienung Kanalhüpfen), also: Dann dürfen wir nicht gaffend am zweiten Rang stehenbleiben, uns aber auch nicht damit zufriedengeben, auf der Seitenbühne zu stehen, obergscheit das Geschehen auf der Bühne zu beobachten und uns vorzukommen, als stünden wir über all diesen Akteuren, Regisseuren, Musikern, Drehbuchautoren, Statisten und Souffleuren. Nein. Stattdessen müssen wir uns mitten in die Arena stürzen, als Performer, als Clowns und Freaks, von mir auch als besessene Gelehrte wie einst dieser Opernführer mit seinen Billa-Sackerln.

 

Wer sich aber im postmodernen Besserwissen suhlt, wer versucht, "Schmutz und Schund" in seine pseudointellektuelle Befindlichkeitsliteratur, diesen ewigen Jammer, diese sinnlose, zeitraubende und immer nur mit Subventionen existierenkönnende Kunstlumperei zu integrieren, der hat schon verloren; daran ist nichts zu rütteln.

Der endet wie einer dieser typischen "Standard"- oder "Falter"-Leser, eine dieser frühverglatzten und immer schon vertrockneten Kreaturen, die sich im Programmkino den neuen Tarantino geben oder das neue Machwerk der Coen-Brothers. Einer von den Leuten, die dasitzen und genüßlich das Maul spitzen und "hmmm" machen und wissend lachen ("hmm-hmm-hmm"), und natürlich erkennen sie all die Zitate aus den Filmen dieser hirnlosen, perfiden Plagiatoren; aber natürlich erkennen sie sie nur wieder, weil sie in ihren Qualitätszeitungen gelesen haben, aus welchen "Versatzstücken" sich dieses Klumpert zusammensetzt; und natürlich fällt aus ihrem Maul dann ein Wort wie "grenzgenial", ein Wort, das absolut verboten ist, schon die längste Zeit, weil es nichts verkörpert als Denkfaulheit, als Schlamperei, als dumme saturierte Bequemlichkeit; ein Wort also, für das man diesen Leuten sofort ihre Designerbrillen aus der Visage nehmen sollte, um ihnen anschließend in Ruhe die Nase zu brechen. "Hmmm ... grenzschmerzlich", könnte man dann vielleicht sagen, wenn ihnen das Blut herunterrinnt: "Hmm-hmm-hmm. Ein Zitat aus der legendären Wirtshauschlägerei drunt im Lichtental, März 1967, Regie: der Brusthammerl-Erich."

Ja, Sie lachen. Aber es gibt leider nichts zu lachen. Weil man diese Leute im Kino und an den Kioksen und in den Feuilletons eben nicht ungestraft verprügeln darf, weil sie uns das mühsam erarbeitete Wissen um den Schund, den Trash, wie immer Sie wollen, weggenommen haben, ohne je wirklich was davon verstanden zu haben, ohne wirklich begriffen zu haben, worum es da geht, warum einem das alles so Freude machen und wehtun kann und warum einem manchmal vor Staunen dabei ein Achtl in die Hose geht, wie man sagt. Nix begreifen sie, nie haben sie sich die Zeit genommen, irgendwas zu studieren, wie man das als Privatgelehrter auch in Sachen Trash eben tun muß - sie eignen sich nur an, machen staatstragendes Schmunzel-Kunsthandwerk daraus, lassen sich dafür vom Kulturbetrieb bezahlen.

 

Zusammenfassend kann man also sagen: Dr. Trash will die for your sins - not mine. Nehmen Sie sich das zu Herzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

(Gegeben am 27. April 2007 im ULNÖ - dem Niederösterreichischen Literaturhaus - zu Krems.)

Trash (Dr.)

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