Weltkriegspanik, Betroffenheitsgerede, Hetzkampagnen und heftige Fahnenschwingerei - Sylvia Treudl diagnostiziert hinter dem Mediengeschrei der letzten Wochen die totale Sprachlosigkeit.

Drei Wochen nach dem "Tag X" des beginnenden 21. Jahrhunderts ist alles schwierig - vielleicht noch schwieriger, als im Moment des ersten Schocks emotional, unkontrolliert, irgendwie zu reagieren. Wir alle haben die Bilder gesehen, die Sonderberichterstattung über uns ergehen lassen, die Wogen von Schmerz, Haß, Vergeltungssucht, vielleicht auch die kleine traurige Stimme der Vernunft vernommen. Aber was ist vernünftig, welches passende Gefühl hat man gerade zur Hand? Was tun - und wie? Nämlich: ganz persönlich, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, die unappetitlichen Machenschaften der heimischen Politik wären Gegenstand der eigenen Überlegungen. Denn daß unter dem Deckmäntelchen der Solidarität mit den Opfern einer grauenvollen, absichtlich herbeigeführten Katastrophe plötzlich viele auf die Idee kommen, ihre Interessen auf breiter Basis durchdrücken zu können, ist weder originell noch wirklich argumentierbar. Doch plötzlich stehen Aufrüstung, Abschaffung der Neutralität und die Notwendigkeit eines "starken Christentums" (= das Gute) gegen die islamische Welt (= das Böse) unter - angeblich - völlig neuen Auspizien. Der "gläserne Mensch" rückt wieder ins Zentrum des Begehrens: Wollt ihr die totale Kontrolle?

Das Geschäft mit der Angst hat Saison. Und das Wegschauen, das in unseren Breiten so oft geholfen hat, weil die Krisen und Probleme der "Barfüßigen in Irgendwo" eh keinen interessiert (= betroffen) haben, funktioniert auf einmal auch nicht mehr richtig.

Und plötzlich sollen wir alle AmerikanerInnen sein?

Ein irrwitziges, schauderhaftes Kaleidoskop aus Meldungen in den unterschiedlichsten Medien kreist das Individuum jeden Tag ein: "Bombt sie zurück in die Steinzeit" wird abgelöst von "Bush in Oslo für den Friedensnobelpreis nominiert", "Bin Laden war ein schüchterner Schüler" und "Eine Couragierte geht nach NY".

Letzteres bezieht sich auf eine ORF-Journalistin, die "mit Kind und Kegel" für eine Zeitlang nach New York übersiedelt. Was soll man sagen? Außer vielleicht, daß die Buntformatigen gerade aus dem vollen schöpfen, während Hollywood auf Halbmast flaggt... (Armer Arnie - keine explosiven Filme im Moment!) Was als betroffene Geste verstanden werden kann, hilft aber auch nicht weiter. Die Ursachen liegen ein paar Schichten tiefer, und wenn die (Film)Industrie plötzlich erschrocken den Atem anhält, ist das naiv.

Vielleicht hätte die Unterhaltungsbranche sich seit geraumer Zeit fragen sollen, warum "Unterhaltung" zu einem Löwenanteil ausschließlich unter Hickhack und Kawumm läuft. Was nicht bedeuten soll, daß Hollywood und fachverwandte Einrichtungen jetzt zu "Schuldigen" gestempelt werden sollen; das wäre etwas zu kurz gegriffen, und schon gar nicht soll hier einer vorsätzlichen Niedlichkeit das Wort geredet werden.

Wer kann schon genau sagen, woher Terroristen - egal welcher Provenienz - ihre (inneren) Aufträge beziehen? Offenbar ist nicht unbedingt ein Drahtzieher nötig, um Massaker zu veranstalten, wie in der Schweiz evident wurde, als ein Gefrusteter beschloß, seinem "Unmut" mit Waffengewalt nachhaltig Ausdruck zu verleihen. Bilanz: 14 Tote in einem schweizerischen Stadtparlament, zahlreiche Schwerverletzte, ein toter Attentäter. (Kommt das jetzt auch weltweit tagelang in die Medien, oder waren´s dafür zu wenige Opfer?)

Das Prinzip der Keule hat sich seit den ersten Tagen der Menschheit nicht verändert. Man setzt mit Gewalt seine Ideen durch, die Auslöschung des anderen ist nicht nur mitkalkuliert, sondern gewünscht. Das hat die Menschheit auch auf die Idee der Neutronenbombe gebracht: Strukturen erhalten, störende Individuen möglichst restlos entfernen (sprich "versaften").

Und es ist ja gar nicht wahr, daß die Welt gerade besonders aus dem Tritt wäre, weil eine Ikone der westlichen Zivilisation (oder nur "der Zivilisation", wie in den letzten Tagen gern verallgemeinert wird) eingestürzt ist. Es geht ja auch gar nicht um die Opferbilanz, die interessiert quasi nur mehr aus Höflichkeit in der offiziellen Betrachtung. Vielmehr ist wichtig, was daraus gemacht wird und wer aller von der Katastrophe profitiert.

Am meisten ist den Bildern zu mißtrauen (sprachlichen wie anderen). Die jubelnden Palästinenser, die sich (angeblich) über das brennende Manhattan gefreut haben, waren (angeblich) ein CNN-Fake, der weltweit übers TV gejagt wurde.

Was soll man glauben?

Ein Schriftstellerkollege hat im vergangenen Jahr einen Satz formuliert, der mir seither nachgeht. Er meinte, es wäre der Umgang mit der Welt unter anderem deshalb so anstrengend, weil man permanent darauf verwiesen wäre, zu decodieren.

Und selbst wer in dieser Disziplin zu Meistergraden aufgestiegen ist, bleibt immer noch auf gezielt eingesetzten Lügen picken. Behaupte ich.



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