Nehmen wir einmal an, daß jeder von uns einen unsichtbaren Begleiter hat. Bei EVOLVER-Autor Thomas Ballhausen manifestiert sich dieser Gast etwas stärker als bei anderen Leuten - und begleitet ihn von nun an auf kulturelle Ausflüge.

Bisweilen werde ich von einem Geist heimgesucht, der mich auf meine Funktion als Gefäß voller Scherben und Schmerz zu reduzieren weiß. Der mich Heimsuchende ist kein Unbekannter; trotz seines höfischen Gebarens verbirgt er eine regelrechte "Vampirseele" (Sorel). Diese scheint sich in meinem empire of dirt durchwegs wohl zu fühlen. Und während es sich der ungebetene Gast, der sich erst nach und nach als Freund erweisen kann (und hoffentlich auch wird), in meinem Kopf mit einigen kostbaren, in Maroquinleder gebundenen Bändchen bequem gemacht hat, beschlossen wir, das Allerbeste aus der Situation zu machen. Was wiederum bedeutet, daß der Besucher mich auf Streifzügen durch die Kultur, gleich in welcher Form sie sich auch darbot, aufforderte und begleitete.

Beim Schreiten durch die laufende Ausstellung Dennis Hoppers im Wiener MAK überkam ihn ein leichter Schauder. So hatte er sich Amerika immer schon vorgestellt, obwohl er es bisher zu vermeiden gewußt hatte, sich persönlich zu überzeugen: In einer ungewohnten Dimension, die ein wenig ins Vulgäre abzudriften schien, präsentierten sich bekannte Objekte. Dies schien ihm ein wenig im Widerspruch zu Hopper als Person zu stehen; doch der sich hier präsentierende, facettenreiche Künstler war ganz klar ein anderer als der vermeintlich vertraute Schauspieler. In die Leere der unermeßlichen Hallen hatte er einen sehr persönlichen Zugang zu Kultur und gesellschaftlicher Realität jenseits des Atlantiks transportiert, ja regelrecht ein Stück Amerika hineingestellt. Komplett mit Stacheldraht.

Die den Gast umgebenden Besucher erinnerten ihn an Figuren aus dem neuen Buch der Britin Mackay, wie sie so zwischen den Bildern und Photos umherschlichen, Schatten auf andere werfend. Unter ihnen konnte er einige Personen ausmachen, die ganz klar an die Figur des glück- und erfolglosen Nathan Pursey erinnerten, also ob ihrer Mediokrität und Talentlosigkeit alle Möglichkeiten des Kunst- und Kulturbetriebs voll für sich in Anspruch zu nehmen gedachten. All diese widrigen Umstände mißachtend, schloß er sich den taumelnden Besuchern an, übte sich in Mimikry. Er erhaschte einen kleinen Blick, einen regelrechten Einblick, in Hoppers Standpunkt: sich die Bilder anzueignen, unabhängig von den Konsequenzen. Daß dabei auch ein unangenehmes Stück Amerika sichtbar wurde, abseits von Klischees und Illusionen, verzauberte und ernüchterte ihn gleichermaßen.

Bei der Garderobe des Museums war leider niemand anzutreffen. So sah er sich genötigt, seinen Mantel selbst zu nehmen. Als er sich, nachdem er im Ausstellungskatalog geblättert hatte, das Gebäude zu verlassen anschickte, ließ die nun wieder vorhandene Garderobiere sich zu einer halbherzigen Verfolgungsjagd hinreißen, die erst nach wenigen Metern ihr Ende fand.

M. Guignol empfiehlt:
Blättern Sie im wunderbaren Katalog "Dennis Hopper: A System of Moments" (Herausgegeben von Peter Noever; Hatje-Cantz-Verlag), so Sie sich nicht in der Lage sehen, die Ausstellung (noch) zu besuchen. Trinken Sie im Anschluß eine Tasse Tee, lesen Sie dabei in Shena Mackays neuem Roman "Die Witwe des Künstlers" (Verlag C. H. Beck), wundern sich dabei über die eigenartige Übersetzung und über die gelegentlich aufblitzende Ironie der Autorin, die für den Rest des Werkes entschädigt. Lassen Sie im Hintergrund Molokos "All Back to the Mine" (Roadrunner/Musica), eine Sammlung ausgesuchter Remixes aus den Jahren 1995-2000, laufen. Sie werden nicht enttäuscht sein.



Zur Zeit liegen noch keine Kommentare vor.