Ob es einem nun lieb ist oder nicht - für die Wahrnehmung Berlins als Großstadt in der restlichen Welt ist die Love Parade einer der wichtigsten Faktoren. Kürzlich war es wieder soweit: Einige hunderttausend Menschen präsentierten sich auf der Straße des 17. Juni und zogen, von lauten Bummbumm-Klängen angetrieben, durch die grüne Lunge der Berliner Innenstadt.

Die wirklich schönen Begegnungen im Rahmen der Love Parade finden Jahr für Jahr jedoch nicht an der eigentlichen Umzugsstrecke statt, sondern an neuralgischen Punkten des alteingesessenen Berliner Stadtlebens. An jenem Samstag zog es mich zu einem Markt in Schöneberg - genauer gesagt, dem Winterfeldtmarkt -, der inzwischen weit mehr ist als ein Geheimtip für Berlinbesucher. Die Einwohner der Gegend sind einiges gewohnt, hat sich doch der Kiez zum Regenbogenviertel der Stadt entwickelt. Mit Schwulen und Lesben scheinen die Schöneberger kein Problem zu haben, wohl aber mit sächsischen Ravern. An einem Blumenstand bildete sich eine lange Schlange, in deren hinterem Teil ich mich befand und einem Zwiegespräch zwischen einer etwa siebzigjährigen Frau und zwei jungen Kreaturen mit technoider Uniformierung lauschen durfte.

"Na, denn ordentlisch die Köppe zuknalln, wa?" reagierte die Dame entnervt auf das völlig deplazierte Zucken der beiden Blauhaarigen vor ihr. "So´n Quatsch, ihr habt dit nüsch kapiat!" setzte sie ihre Provokation fort. Der Junge drehte sich zu der älteren Frau um, schaltete seinen Walkman ab, dessen Kopfhörer sowohl seine Freundin als auch ihn mit Kirmes-Techno à la Gigi D´Agostino oder Rollergirl versorgte, und zog die Augenbraue hoch. "Ey, sie müssen einmal tolerant sein. Ich laß Sie in Ruhe, Sie lassen mich in Ruhe." Die Alte drehte sich um, als verlangte sie nach einem Auditorium. "So´n Quatsch! Toleranz iss ooch mal ausm eijenen Tunnel rauskieken. Dit krücht ihr aba nisch hin!"

Die derart Angegriffenen zuckten weiter vor ihr. Plötzlich fing das Mädchen an, in schwindelerregenden Höhen zu singen. "Lalabei, leik a battaflei, uhuuu. La-La-Bei." Ihr Begleiter schien verlegen und drehte sich zur Alten um. "Lassen Sie uns doch einen Tag im Jahr frei und fröhlich sein!" Die Alte schien zu explodieren: "Dit is ja wie bei de Nazis. Teschno macht frei, wa? Oder watt? Passma uff: Meen Enkel, der hat vor acht Jahrn uffe Laffpäreht jetanzt. Aba da war dit noch wat. Hier, nüsch weit, uffm KuDamm. Da hat sisch keen Politika umme Sache jekümmat. Aba heute, Ihr habt nüscht kapiat." Dann wieder das Mädchen: "Ehnschell, ju ken ßie se skei! Lala lalala la-la..."

Leider endete der Diskurs abrupt, als unsere sächsischen Gäste an der Reihe waren. Der Junge bestellte drei Sonnenblumen, nahm sie und zahlte. Dann gab er seiner Freundin einen Kuß und eine Blume, drehte sich um und drückte auch der Alten eine Blume in die Hand. "Gut so?" fragte er sie dabei. Die Alte schrie: "Watt denkta, wer ihr seid? Muss icke mir von so Ostzonalen Jeschenke machen lassn... Jeht doch surück, woa herkommt!"

Ich denke, daß ich bei der nächsten Love Parade einmal in der Bahnhofsmission vorbeischauen werde.



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