In Benny Denes´ Heimatstadt Berlin, deren Zentren von internationalen Riesenkonzernen mit Prachtbauten zugepflastert wurden, die irgendwie auch kulturell wertvoll sein sollen, folgen selbst Rentner dem neuen Kulturbegriff. Und wenn sie´s nur mit verbilligten Bildbänden tun...

Kultur wird in Berlin seit jeher institutionalisiert. Der sogenannte Potsdamer Platz, also die neuen Bauten von Daimler, Sony und der Bahn an einer Kreuzung, die gar nicht der Potsdamer Platz ist, hat ein Kulturpräservativ der Marke "Kinostadt" über seine sterile Anonymität gezogen bekommen, und Berlin-Besucher aller Sozialgruppen gehen in mindestens eine der Kulturinszenierungen à la "Glöckner...", "The Story of Berlin" oder "Mary". Wie schön, daß da auch die Berliner selbst den Weg zur Kultur gefunden haben.

Daß ich an einer Einkaufsstraße wohne, hat - wie man sich vorstellen kann - viele Vor- und Nachteile. So trinke ich meinen Latte macchiato beinahe jeden Nachmittag in einer Bar, von der man einen wunderbaren Ausblick auf die Läden dieser Straße hat. Unmittelbar neben der Bar befindet sich ein Buchladen einer größeren Kette. Vor einigen Tagen gab mir mein Beobachterplatz die Gelegenheit, ein interkulturelles Treffen in und vor dem Buchladen zu verfolgen. Zwei bebrillte Rentner standen davor und wühlten im Kasten mit den großen, verbilligten Bildbänden, bei denen man sich stets fragt, wer die Dinger eigentlich zum Originalpreis kauft. Plakative Titel wie "Katzen" oder "Bauernschränke" im Breitwandformat erscheinen angesichts der klischeehaften Fotos darin auch dann nicht sinnvoll, wenn auf dem Cover als dritte Instanz ein grellroter Aufkleber prangt, auf dem "Jetzt nur noch 12 DM" steht.

In Berlin fallen aber auch solche Bildbände definitiv unter Kultur. So fühlten sich denn auch die beiden im immergleichen Ocker und Grau gekleideten Rentner als Teil einer Bewegung, die Kultur greifbar macht. Der Mann tendierte zu einem etwa DIN-A3-großen Machwerk mit dem Titel "Omnibusse", während die Frau sich eher für "Königinnen" interessierte. Ihre Kommentare wie "Ja, das ist ja auch schön!" oder "Toll, jetzt mal wieder ein Buch zu kaufen!" verstummten plötzlich, als der Mann in den Laden schaute: "Kiekma, die Türkenbengels koofen sich een Buch. Dabei könnse ja nich ma Deutsch." Seine Begleiterin war sofort mit dem Virus der Entrüstung infiziert: "Als ob die was von Kultur verstehen."

Alsbald hatte ich meinen Stuhl so gedreht, daß ich einen guten Blick auf das Geschehen im Laden hatte, dabei war dies gar nicht notwendig. Die Gruppe der Jugendlichen verließ nämlich nur wenige Augenblicke später den Laden. Der Rentner nutzte die Gelegenheit: "Wat habta Euch jekooft?" fragte er den Jungen, der eine Tüte des Ladens in der linken Hand hielt. "Bücher!" lautete dessen fraglos zutreffende Antwort, über die sich die Frau nicht aufregen konnte, weil die Ergänzung sofort folgte: "Krasse Texte!" - und das war wirklich die Wortwahl des Jungen - "von Thomas Mann und Heinrich Böll". Voller Falschheit und Heuchelei antwortete der Alte: "Na, prima finden wa diss. Daß Ihr die juten Autoren ooch noch lest!" Als die Gruppe weitergezogen war, entschieden sich die beiden Alten für einen besonders großen Bildband mit dem Titel "Trümmerfrauen". Ganz in schwarz-weiß, einzig der rote Aufkleber "Nur 14 DM" störte das gesetzte Titelbild. Ich trank meinen Latte aus und bestellt ganz kultiviert noch einen "Bohnenkaffe mit Mülschschaum". Ich glaube, Berlin wird
d i e Metropole der Kultur werden.



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