Das jahrzehntelange Dasein als geteilte Stadt macht es im Berlin von heute nach wie vor recht schwierig, sich für eine Lieblings-Fußballmannschaft zu entscheiden. EVOLVER-Autor Benny Denes berichtet über Inhalte und Hintergründe einschlägiger Kneipengespräche.

Durch die Zeit der Mauer hat sich in Berlin alles mehrfach entwickelt. Wir haben zwei große Opern und eine kleine, mehrere Konzerthäuser, zwei Funktürme, achtzehn Radioprogramme, zwei konkurrierende überregionale Tageszeitungen und vor allem 367 Fußballvereine.

Wenn man in einem einschlägigen Lokal am Wochenende die Live-Übertragungen von der Bundesliga anschaut, trifft man Berliner Fußballfreunde verschiedenster Couleur. Tut man das in einer Lokalität in der Stadtmitte, so findet man dort Anhänger aus dem Osten und dem Westen. Da ist zum einen der prototypische Westberliner Fan - nennen wir ihn einfach mal Manne (das kommt von Manfred oder, wie er liebevoll von seinen Freunden genannt wird, Mampfred). Manne liebt seine Hertha, jenen skandalbehafteten Verein, der nach dem Namen des Ausflugsdampfers benannt worden ist, auf dem er vor etwa 100 Jahren gegründet wurde. Manne liebt seine Hertha vor allem, seit sie wieder in der ersten Liga spielt und dort sogar erfolgreich ist. Der Berliner Fußballfan ist opportunistisch; wenn der Erfolg stimmt, stand er "ja schon ümma hünta die Jungs. Dit is eenfach mein Verein."

In solch einer Kneipe entdeckt man aber auch immer einige Exemplare des klassischen Ost-Berliner Fußballfans; ich klassifiziere diese als "Typ Egon". Egon ist wahlweise Anhänger des 1. FC Union ("Ick bin halt vonne Kündheit os Unjohna!"), jenem Verein aus dem Wald- und Wiesenbezirk Köpenick, der zu DDR-Zeiten bei den Oberen des Staates äußerst unbeliebt war; oder er erweist sich als Fan des BFC, genauer gesagt, des inzwischen rückbenannten Berliner Fußballclub Dynamo, den Bordeaux-Weißen aus Hohenschönhausen, der vereinsbildenden Antwort auf politischen Extremismus bei Wählerwanderungen zwischen PDS und NPD.

Im Gegensatz zu Manne (dem Westler) geht Egon aber auch zu Hertha. Für Egon ist Hertha so eine Art Überbegriff des Fußballs in Berlin. Sie ist nicht seine große Liebe, eher eine Art erträglicher Konsens. Als Reaktion auf diese Einstellung hat sich der Typ Manne auch regional spezialisiert, was sich in Äußerungen der Art: "Naja, eigentlich bin ick Anhänga von Düppel 08, ick bin schließlich aus Zehlendorf, die spielen jetzte inna Kreisliga B, zweete Abteilung, jesichertes Mittelfeld, Spielmacher heißt Konrad Schulze" niederschlägt. Der große Unterschied zwischen Egon und Manne ist, daß letzterer niemals zu Union gehen würde, geschweige denn zu "diesem Stasiclub Dynamo". Wobei die Mannes im Berlin dieser Tage auch um Karten für das Deutsche Pokalfinale anstehen, das traditionell im Berliner Olympiastadion ausgetragen wird und für das sich - beinahe sensationellerweise - der Regionalligaverein 1. FC Union Berlin qualifiziert hat. Typ Manne nimmt dazu auch Stellung: "Ja, ick bin für Union, aber nur weil ick Schalke, ihren Jegna, hasse wie die Pest!"

Vergangenen Samstag in der Kneipe haben sich Manne und Egon auch unterhalten: über Bayern, Leverkusen und Cottbus. Über Hertha und Union, über Neubauten und Solidaritätszuschlag, über Scheiß-Ost und Scheiß-West. Nur über ein Thema erzielten diese ansonsten so grundverschiedenen Prototypen des Berliner Fußballfans Einigung: "Hauptsache, die Ausländer hauen bald ab!" Da haben Manne und Egon sogar mit ihren Gläsern voll Kindl (Westpils) und Bärenquell (Ostbier) angestoßen. Ich bin übrigens Berliner und Fußballfan - und mein allerliebster Verein ist Ajax Amsterdam.



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