Die Welt der Hochtechnologie macht vor gar nichts halt - nicht einmal vor der guten alten U-Bahn. Daß sich Pensionisten mit den neuen Informationssystemen nur schwer zurechtfinden, gilt nicht nur für Wien, sondern auch für Berlin. Benny Denes liefert eine neue Momentaufnahme aus seiner Heimatstadt.

Im Verlauf dieser Kolumne werden immer wieder Geschichten erzählt, die sich in einem der öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt zugetragen haben. Das liegt einerseits an der Natur jeder Großstadt - gibt es doch kaum eine bessere Möglichkeit, die fremden Mitmenschen zu studieren, als im Bus oder in der Bahn - andererseits im speziellen Falle Berlins an der ungewöhnlich intensiven Beschäftigung mit den Verkehrsbetrieben. Diese hat sich schon in Liedern bei Ton, Steine, Scherben, Udo Lindenberg und ungezählten Berliner Rockbands manifestiert, es gibt eigene Theaterstücke und ein Musical über die Linien, und man kann jeden Tag einen bis drei Artikel über die BVG selbst in den seriösen Tageszeitungen der Stadt finden.

Meine Erlebnisse haben selten etwas mit Verkehrspolitik oder Logistikbudgetierung zu tun, sondern sind handfester menschlicher Natur. Auf der U-Bahnlinie 9, die ich am meisten benutze, haben die Berliner Verkehrsbetriebe alle technologischen Neuerungen, die sie in den nächsten fünf Jahren planen, bereits installiert. Die meisten Innovationen haben etwas mit Kommunikation zu tun und sind für aufgeschlossene Nutzer entweder eine Erleichterung oder eine unterhaltsame Abwechslung. Vor einigen Tagen stand ich am U-Bahnhof Walther-Schreiber-Platz in Friedenau und wartete auf den nächsten Zug in Richtung Nord. Das tat ich nicht allein; unter anderem stand ein Pärchen hinter mir, das ich zunächst nur anhand der Stimmlage auf Mitte sechzig schätzen konnte. Sie blickten fortwährend auf "Daisy", die Informationsanzeige, auf der steht, wann der nächste Zug abfährt. "Osloer Straße, 4 Minuten, Kurzzug" - Ziel, Wartezeit und richtiger Standort am Bahnsteig werden so mitgeteilt, eigentlich eindeutig.

Nicht aber für die beiden Rentner: "Kiek ma Erna! Dit iss doch Bockmist, dieset Jerät. Der schafftet doch niemals in vier Minuten bis zur Osloer!" erboste sich der Alte. Seine Frau widersprach ihm: "Naja, wennet so een KURZ-ZUG iss, kann dit schon hinhauen!" Glücklicherweise mischte sich im Gegensatz zum üblichen Verlauf solcher Sequenzen kein anderer Wartender in das Gespräch der beiden, um die notorischen Nörgler über die tatsächliche kommunikative Leistung von "Daisy" zu informieren. Der Mann holte wieder aus (bei einem gehuschten Blick über meine Schulter hatte ich eine aschenbecherstarke Hornbrille auf seinen auch ansonsten nicht gerade feingeschnittenen Gesichtszügen entdeckt): "Bis zur Osloer will ick aba jar nich fahren, ick will doch schon Hansaplatz wieda raus! Nachher iss düt son Expresszug und dann hält der erst wieder Osloer! Dit fehlt ma noch!" Seine Frau gab ihm recht: "Mensch Erwin, dann sindwa jearscht, wo wir doch jar nich bis zur Osloer wollen. Also wer sich dit nun wieda ussjedacht hat, nee nee."

Nun könnte man das Geplärre dieser Amöben noch weiter nacherzählen, aber die beiden Rentner schossen den nächsten Bock, als der Zug einfuhr. Unsicher standen sie an der U-Bahn und wollten nicht einsteigen. Ich wollte mir dieses Spektakel nicht entgehen lassen und entschloß mich, lieber einen Zug später zu fahren. Der Mann fragte eine wie eine Studentin aussehende junge Frau im Zug, ob dieser direkt bis Osloer Straße durchfahre. Wahrheitsgemäß bejahte sie die falsch gestellte Frage. Nun waren die Alten ratlos, und gleichzeitig ertönte das Warnsignal beim Schließen der Türen. "Dit iss ja wohl ´ne Frechheit, da bezahlt man Unsummen und wird noch nich mal mitjenommen!" schrie er aus unerfindlichen Gründen seine Frau an. "Aba Erwin, ick kann doch ooch nischt dafür!" verteidigte sie sich. Die beiden stampfen auf die Infosäule am Bahnsteigende zu, um ihrem Ärger Luft zu machen. Sie drückten auf den Knopf mit der Aufschrift "Auskunft" und eine freundliche Stimme meldete sich am anderen Ende.

"Wir standen am Zuch, und der Idiot hat uns nich mitjenommen. Aba wir wollten ja ooch nich mit, wegen dit Kurzzuch, wat ja eh der letzte Scheiß iss", brüllte der Alte, als wollte er die drei Kilometer bis zur Zentrale, wo seine unsichtbare Gesprächspartnerin saß, ohne Fernsprechleitung überbrücken. "Welcher Idiot?" fragte die Kundenbetreuerin so geschickt, daß ich mir vornahm, demnächst eine Reportage über die Kundenservice-Leitstelle der BVG zu schreiben. "Wie, welcher Idiot, wat wolln se meinem Erwin den nun anne Backe kleben?" mischte sich die Alte ein, "Sagen Sie mir mal schön Ihren Namen, ick wird mal Erkundigungen üba Sie einziehen!"

In der Zwischenzeit kam der nächste Zug, und ich stieg ein. Die beiden Wartenden meckerten weiter gegen die Säule; wahrscheinlich haben sie den Bahnhof Hansaplatz nie mehr erreicht.



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