Neue EVOLVER-Autorin,
neue Faction-Rubrik: Anni Bürkl
erforscht, was wirklich hinter den kurzen Zeitungsmeldungen steckt, die
man ansonsten einfach überliest.
Vergewaltigungsversuch
oder Vasendiebstahl?
Als Gastarbeiterin, Hausarbeiterin und Putzfrau
hat man es in Österreich nicht gerade leicht. Das merkte auch Irina
S., als sie vom erwachsenen Sohn einer Klientin plötzlich sexuell
attackiert wurde. EVOLVER-Factcheckerin Anni Bürkl deckt die Tatsachen
hinter dem Kurzbericht auf Seite 17 auf.
Nach Wien kam Irina S. aus Kroatien, als dieses
noch lange zu Jugoslawien gehörte. "Seit Jahr und Tag", wie man so
sagt, putzte sie neben ihrer Tätigkeit als Hausbesorgerin auch noch
in einem Büro und räumte die Wohnungen fast aller Hausbewohner
auf. Irina S. stand mit allen, so dachte sie, auf freundschaftlichem Fuß.
Sie fühlte sich als Teil einer großen Familie.
Doch plötzlich wurde sie auf recht unschöne
Art eines Besseren belehrt.
In der Wohnung der mit ihrem erwachsenen Sohn lebenden
Frau K. war Irina S. gerade dabei, eine schwere Glasvitrine zu reinigen.
Zu diesem Zweck hatte sie allerlei Putzutensilien sowie einen Kübel
mit Wasser bereitgestellt. Sie hatte die Tür der Vitrine geöffnet,
nahm sorgfältig eine gläserne Kostbarkeit nach der anderen heraus
und stellte sie auf dem Tisch ab, um anschließend die Vitrine selbst
auszuwaschen.
Da stürzte sich "aus heiterem Himmel" (wie
es heißt) Roland K., der 26jährige Sohn von Frau K., auf die
nichtsahnende Putzfrau. Er umfaßte die 46jährige von hinten
und keuchte ihr ins Ohr: "I steh auf di, Irina! Des muaßt do söwa
scho gmerkt hobn! Waun du die Fensta putzt, Irina, des is zvü für
mi, i kaun nimma! Ziag di aus, schnö, die Mama is eh no a Weu beim
Friseur...!"
Nach einer Schrecksekunde drehte sich Irina S.
um und trat und boxte nach Roland K., der sie immer noch umklammert hielt.
Schnell konnte sie sich befreien. Aus Überraschung über ihre
Gegenwehr fiel Roland K. jedoch so unglücklich gegen die offene Tür
des schweren Glasschranks, daß er mit einer Gehirnerschütterung
ins Spital eingeliefert werden mußte.
Irina S. gab zu Protokoll, daß Roland K.
schon den ganzen Tag absurd lustig gewesen war. Überall sei er ihr
beim Putzen im Weg gestanden und hätte sinnlose Witze gemacht. Es
schien, als sei er betrunken, doch Irina S. versuchte trotzdem, nett zu
ihm zu sein, und tat so, als würde sie auf ihn eingehen. Schließlich
kannte sie ihn schon seit der Zeit, als er noch ein Schulbub gewesen war.
Es kam zu einer Anzeige. Der verletzte Sohn der
Wohnungseigentümerin gab an, Irina S. beim versuchten Diebstahl wertvoller
Kristallvasen erwischt und sich deshalb auf sie gestürzt zu haben.
Er habe beobachtet, wie die langjährige Putzfrau seiner Mutter schamlos
die Kristallgegenstände in den Putzeimer gestellt habe. Sicher hatte
sie sie darin abtransportieren wollen, so der Kläger. Irina S. bestreitet
diese Anschuldigung nach wie vor.
Wie sich bei
den Ermittlungen der Polizei herausstellte, war bei den Hausparteien allgemein
bekannt, daß Roland K. unter Komplexen leidet, weil er aus einer
flüchtigen Beziehung seiner Mutter zu einem jugoslawischen Gastarbeiter
stammt. Dieser hatte sich anscheinend aus Angst vor der kommenden Vaterschaft
wieder abgesetzt. Frau K. gibt an, daß der Vater ihres Sohnes sich
möglicherweise illegal in Österreich aufhielt - aus Liebe habe
sie ihn jedoch nie danach gefragt. Irina S. macht derzeit Urlaub in ihrer
alten Heimat und überlegt, ganz dorthin zurückzukehren. |