Video_The Happening - Director´s Cut
Ich sehe tote Filme
Das von Kritik und Publikum gleichermaßen gescholtene aktuelle Werk von M. Night Shyamalan ist vor kurzem in einer "härteren" und "brutaleren" Version auf DVD erschienen. Walter Reiterer hat sie sich angesehen.
05.12.2008
Die Geschichte des filmischen Schaffens des 1970 in Indien geborenen und in Penn Valley in der Nähe von Philadelphia aufgewachsenen Regisseurs M. Night Shyamalan beschrieb bis zu "Lady in the Water" eine bedächtige Kurve Richtung Mittelmäßigkeit und übersprang mit genanntem Biotop-Feen-Grunzmonster-Märchen die Mausefalle, nur um in der Kompression mit "The Happening" nun einen veritablen Bauchfleck zu landen.
Die Bewertungen seiner Filme auf IMDb, der Internet Movie Database, sehen aus wie die Teilzeiten von "Halbzeitweltmeister" Werner Grissmann auf der Streif. Am Start noch verhalten und unauffällig, bei der ersten Zwischenzeit ("The Sixth Sense" - 1999/8.2 Punkte) aber klar vorne, um danach Buckel für Schneise an Terrain zu verlieren. Bis zu "Unbreakable" (2000/7.2) verlor der Lauf einen Punkt; die Gibsonsche Verweigerung des Gebets als Ex-Pfarrer in "Signs", plus (Weih-)wasserscheuen Aliens (2002/6.9) kostete drei weitere Zehntel; der Rückstand erhöhte sich (natürlich völlig ungerechtfertigt) im Eskapismus-Drama "The Village" (2004/6.6) sogar um diese 0.3. Schließlich im Gleitstück angekommen, wollte das Gerät nicht mehr so recht laufen. "Lady in the Water" (2006/5.9) war einfach verwachst, und die Katastrophe folgte mit dem vorläufigen Zieleinlauf: "The Happening" (2008/5.3) läßt ganze 3.8 Punkte auf den Gesamtführenden "The Shawshank Redemption" vermissen. Dieser nach IMDB beste Film aller Zeiten (Besser als "Der Pate"? Warum eigentlich? Was ist da schiefgelaufen, liebe User? Anm. d. Red.) erfreut sich einer Bestzeit von 9.1 Punkten. Was will der Inder also noch?
Darf man das?
So angesagt es einmal war, Shyamalan und seine cineastische Idee einer Mischkulanz aus Gruselgeschichte, Esoterik, Spiritualität und selten sogar Action in den Himmel zu loben, scheint er nun jeglichen Bonus verspielt zu haben. Zunächst beim Publikum, das schon bei "The Village" zum Teil verwirrt zornig ächzte, weil ihm der versprochene Horror sehr direkt und brutal als schaurig-schöne Maskerade vorgeführt wurde und nun auch bei den Kritikern, die sich - eventuell auf die Rezension des Kollegen am Nebentisch schielend - fragen, ob man das jetzt auch zerfetzen darf ...
Immerhin wurde der Mann einmal als der einzige legitime Nachfolger Alfred Hitchcocks benannt. So einem Säulenheiligen haut man daher nur mit viel Mut eine runter; stets verbunden mit der latenten Gefahr, selbst im journalistischen Out zu landen. Aber man wurde sich in der Genossenschaft einig: Man darf das, trotz vergangener Verdienste, einfach schlecht finden und in Folge auch schreiben. Und das ist auch in Ordnung. Wäre da nicht ein klitzekleines Anti-Wellness-Gefühl dabei, denn die Latte lag hoch, und das Jammern über Shyamalans Kursverlust findet nach wie vor auf einem verdammt hohen Niveau statt - obwohl die Benotung so unbarmherzig ist. Zumindest für Liebhaber von außergewöhnlichem Filmstoff gibt es immer noch etwas zu sehen.
Würde man diese Chronik nämlich umkehren, wäre der Herr heute ein gefeierter Held. Und wir können uns nicht sicher sein, ob der nächste Streich ("The Last Airbender", geplant für 2010) nicht wieder einen breiten und gleichermaßen tiefen Krater in manchen Bezirken unserer Seelen hinterlassen wird, die ja nach Geschichten dürstet, die man ohne Erklärung zwar versteht, aber nicht versteht, sie zu erklären.
I see dead people
Diese emotionale Unberechenbarkeit des Gesamtwerks ist aber nicht das Einzige, was man Shyamalan zugute halten muß. Ihm ist ein ganz schwerwiegender Fehler "unterlaufen", als er seinen bislang allerbesten Plot - "Ich sehe tote Menschen" - zu Beginn seiner Karriere lieferte. Danach maß sich alles daran, was Haley Joel Osment sah und Bruce Willis mitsamt dem Zuseher lange nicht nicht kapierte.
Seien wir doch endlich ehrlich: Viel mehr an "Aha-Effekt" geht nicht. Okay, als Sechsjähriger staunte der Autor dieser Zeilen über das Ende von "Soylent Green" und aß danach keinen Spinat mehr. Aber wie kann man so eine wunderbare Wendung so früh bringen? Das mag natürlich eine sehr naive und dumme Frage sein, aber Sie wissen, worauf ich hinaus will. Nach "Nevermind" kam noch ein Blueprint, einmal wurde das ganze unplugged aufgekocht und umgerührt, und ein finaler Knall in einer Garage beendete die Sache dann aber auch. Shyamalan lebt noch.
"The Happening", der letzte Mega-Flop des Mannes, der mit "The Village" meinen persönlichen "Lebensfilm" schuf, ist weit davon entfernt, wirklich außergewöhnlich interessant oder aufregend zu sein. Die Grundidee (wie immer) ist es jedoch. (Lesen Sie dazu auch die ausführlichen EVOLVER-Kritiken, die in einer Bärli- und einer Schweindi-Version vorliegen).
Zwischen kalifornischem Erfolgsdruck und europäischem Anspruch ganz schlecht aufgehoben, führt Shyamalan von der Basis weg Gutes im Schilde, bringt es aber niemals auf den Punkt. Er verliert sich in Bildern, die einfach viel zu inkonsequent sind. Die Schauspieler, vorneweg Mark Walhberg, vermögen dieses Zaudern nicht einmal im Ansatz wettzumachen. Die Sache vergilbt, ergibt sich am Ende in einer Platitüde des Liebgemeinten und scheitert dabei an deplazierten Action-Helden und Kompromissen für Leute, die "Krieg der Welten" auch ohne Orson Welles irgendwie noch cool fanden. Dafür sollte es eigentlich gesetzliche Verbote geben.
Der DVD-Release, der nach dem Mißerfolg in den Kinos weltweit als verlängerte US-Version mit mehr "Brutalität" daherkommt, versucht nun das inhaltliche Manko mit Blut und "mehr Action" zu vertuschen. Allein daran erkennt man den grundlegenden und lächerlichen Fehler der Filmindustrie. Sie mißversteht den Künstler und sein Werk zur Gänze, evaluiert Möglichkeiten, um den Absatz bei der weiteren Verwertung zu steigern, und kommt tatsächlich auf die Idee, daß es in dem Film nur ein wenig mehr "scheppern" muß; weil dann - so die Schlußfolgerung - kauft das auch wer. Alleine deshalb ist "The Happening" es wert, im DVD-Schrank zu landen, als das Scheitern eines Regisseurs zwischen Hollywood-Himmel und seinem persönlichen Nirwana.
Betrachtet man, was jeden Donnerstag so neu im Kino erscheint, dann hat "The Happening" nämlich noch immer seine magischen Momente. Man kann zwar keine toten Menschen mehr darin sehen, dafür erkennt man umso besser die wirklich toten Filme auf dem Markt.
Walter Reiterer
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