Stories_Nippon Connection 2006
Liebesgrüße aus Tokio
Neben bekannten Genres zeigte das größte japanische Filmfestival im deutschsprachigen Raum wieder viele Filme, die sich den westlichen Klischees von Japan entziehen.
09.05.2006
Auch heuer wurde Frankfurt am Main wieder für fünf Tage zum Treffpunkt für Liebhaber des japanischen Films. Bereits zum siebten Mal präsentierte das ehrenamtlich arbeitende Team der "Nippon Connection" neben Spielfilmen aus verschiedenen Genres auch Kurzfilme, Videoclips und ein umfangreiches Rahmenprogramm. Dabei konnte schon der aktuelle Festivaltrailer, der einen attraktiven weiblichen Geist zeigt, wie er sich in das Bett eines Fremden kuschelt, als Reaktion auf die Welle an japanischen Geisterfilmen wie "Dark Water", "Ju-On - The Grudge" oder die "Ringu"-Reihe gesehen werden. Zwar wurde dieses Genre in den letzten Jahren zum beliebten Exportartikel, was sich auch an den amerikanischen Remakes zeigt, doch mittlerweile scheint der japanische Horrorfilm ein wenig in der Krise zu stecken.
Ein Regisseur, dessen Horrorfilme sich für amerikanische Remakes durchaus eignen würden, der aber scheinbar dem Ruf aus Hollywood bis jetzt widerstehen konnte, ist Kiyoshi Kurosawa. Mit Filmen wie "Cure", "Seance" oder "Pulse" schuf er subtile und atmosphärische Werke des Genres, ohne sich zu sehr dessen Konventionen zu verschreiben. Sein neuer Film Loft stellte sich allerdings als herbe Enttäuschung heraus. Eine erfolgreiche Autorin zieht sich darin für die Fertigstellung ihres Buches in ein abgelegenes Landhaus zurück und sieht sich schon bald dem Geist einer tausend Jahre alten Mumie ausgesetzt. Obwohl Kurosawa sein Gespür für düstere Stimmungen und seine minimalistische Ästhetik mittlerweile zur Perfektion gebracht hat, verfügt sein neuer Film nur über einen sehr schwachen Plot, der gegen Ende zudem immer alberner wird. Die Rückherr der Toten, die bei Kurosawa immer mehr war als ein bloßer Schockeffekt, könnte in "Loft" auch aus jedem x-beliebigen Japan-Horrorfilm der letzten Jahre stammen.
Eine ähnliche Vorliebe für düstere Stimmungen gab es auch in Rampo Noir zu sehen. Dem von den alten Profis Akio Jissoji und Hisayasu Sato gemeinsam mit den beiden Newcomern Atsushi Kaneko und Suguru Takeuchi inszenierten Episodenfilm liegen Geschichten von Edogawa Rampo zu Grunde, der so etwas wie der japanische Edgar Allen Poe ist. In klassischer Gothic-Horror-Manier geht es dabei um das Thema Liebe - allerdings von seiner morbiden Seite. Obwohl der Film mit seinen durchgestylten Settings durchaus schön anzuschauen ist, wirken die Geschichten etwas antiquiert und schaffen es nicht wirklich, vom Hocker zu reißen.
Letztendlich gab es aber doch noch einen Horrorstreifen, der einen streckenweise das Fürchten lernte, nämlich den neuen, auf Video gedrehten Film des "Grudge"-Regisseurs Takashi Shimizu. "Marebito" folgt einem Kameramann bei der Suche nach dem wahren Schrecken. Was etwas pseudophilosophisch und unentschlossen beginnt, entpuppt sich mit der Zeit als ein beklemmender und freudianisch geprägter Schocker über die Tiefen der menschlichen Psyche. Der Film ist übrigens bereits auf DVD erschienen; schließlich kommt er auf einem Fernsehbildschirm ohnehin am besten zur Geltung.
Neben Shimizu und Kurosawa traf man im Festival-Programm noch weitere alte Bekannte wie etwa Sabu oder Toshiaki Toyoda, bei deren neuen Filmen es sich komischerweise um die für beide eher unübliche Gattung des Dramas handelt. Während Sabus Dead End, der den Abstieg eines kleinen Jungen zum Inhalt hat, durchaus spannende und bewegende Momente hat, bleibt der Gesamteindruck des Films zu uneinheitlich und die Botschaft vom vorbestimmten Schicksal zu eindimensional.
"Pornostar"-Regisseur Toyoda geht da in seinem mit verspielter Kameraarbeit und verträumten Soundtrack versehenen Porträt einer Mittelstandsfamilie, deren Fassade zunehmend abbröckelt, um einiges witziger vor. Wenn gegen Ende das Komödiantische immer mehr in den Hintergrund gerät und es an die Aufarbeitung eines traumatischen Mutter-Tochter-Konflikts geht, verliert der Film allerdings durch sein allzu abruptes und versöhnliches Ende viel von seiner Faszination.
Obwohl die "Nippon Connection" versucht, möglichst vielen Genres des japanischen Films eine Plattform zu bieten, ist das Festival für eine repräsentative Auswahl zu klein. Man muß sich also keine Sorgen machen, daß der Anime in Japan ausstirbt, nur weil in diesem Jahr keiner im Programm vertreten war. Eine andere Art des Animationsfilms war mit The Book of The Dead von Kihachiro Kawamoto aber trotzdem vertreten. Die auf einer alten Legende basierende Geschichte über die Prinzessin Irratsume und den ihr verfallenen Geist des Prinzen Otsu wird mit Puppen aus dem Bunraku-Theater erzählt, die durch den wirkungsvollen Einsatz von Licht sehr lebendig wirken. Die eigentlich nicht besonders spannende und spektakuläre Geschichte schafft es durch die märchenhafte und farbenfrohe Ästhetik des Films dennoch, den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.
In der Reihe "Nippon Digital" gab es neben Arbeiten etablierter Filmemacher vor allem wieder Low-Budget-Produktionen zahlreicher Newcomer zu sehen. Betrachtet man die große Anzahl an digitalen Produktionen und den höchst unterschiedlichen Einsatz von Video, könnte man ohnehin meinen, daß sich dieses Medium in Japan größerer Akzeptanz oder sogar Beliebtheit erfreut als im europäischen und amerikanischen Raum.
Als Entsprechung zur Eiga-Bancho-Reihe im letzten Jahr, bei der sich sowohl etablierte Regisseure als auch Newcomer mit einem vorgegebenen Budget und Thema völlig frei austoben konnten, gab es diesmal die Love-Collection. Der einzigen Vorgabe, einen Film über die Liebe zu machen, begegneten die Filmemacher äußerst unterschiedlich. "A Volatile Woman" von Kazuyoshi Kumakiri handelt etwa von der ödipalen Beziehung zwischen einer verwitweten Tankstellenbesitzerin und einem weitaus jüngeren Kriminellen. Die ruhig und sensibel erzählte Geschichte stellt eine resignierte Frau in den Mittelpunkt, die wieder zu leben und zu lieben lernt, wobei ihr Glück von nur kurzer Dauer ist.
"Moon and Cherry" von Yuki Tanada, ein weiterer Beitrag dieser Reihe, bewegte sich auf einer unbeschwerteren Ebene. Ein sensibler junger Mann trifft in einem studentischen Club für erotische Literatur auf das einzige Mädchen und verliebt sich prompt in sie. Der Film dreht das traditionelle Mann-Frau-Verhältnis um und stellt dem sensiblen Jungen eine Frau gegenüber, die ihn nicht nur für eigene Zwecke benutzt, sondern auch nur für Sex zur Verfügung steht, nicht aber für Liebe. Die Regisseurin führte ihre Charaktere in dem mit witzigen Situationen vollgepackten Film nicht vor, sondern zeichnet ein differenziertes Bild ihrer Gefühlswelt. Zwar handelt es sich hier nicht um einen Pink-Film, der hohe Stellenwert von Sex für die Handlung rückt "Moon and Cherry" jedoch eindeutig in die Nähe dieses Genres.
Der einzige "echte" Pink-Film des Festivals bewies erneut den Reichtum eines auf dem internationalen Filmmarkt immer noch einzigartigen Genres und knüpfte auch an den Erfolg des letzten Jahres mit "The Glamourous Life of Sachiko Hanai" an, der übrigens in wenigen Wochen auf DVD erscheint. "The Strange Saga of Hiroshi The Freeloading Sex Machine" von Yuji Tajiri ist zwar weniger originell, jedoch konnte sich die Geschichte über ein Dorf voller arbeitsloser und sexbesessener Männer und einer bongospielenden Postangestellten mit skurrilen Einfällen, phantasievollen Liebesakten und Slapstick-haften Absurditäten ebenso als publikumswirksame Pink-Komödie behaupten.
Bei Koji Wakamatsu handelt es sich wohl um den König des "pinku eiga". Ab den sechziger Jahren trat er mit zahlreichen häufig frauenfeindlichen, aber auch explizit politischen Filmen in Erscheinung. Neben zwei Beispielen für seine klassischen Werke, die in der Retrospektive japanischer B-Movies der sechziger und siebziger Jahre liefen, gab es auch sein neuestes Werk Cycling Chronicle - Landscapes the Boy Saw auf dem Festival zu sehen. Fast unberührt von seiner Sexploitation-Vergangenheit, verfolgt Wakamatsu darin einen ungewohnten, aber im Vergleich zu seinen frühen Filmen ebenso faszinierenden Ansatz. Fast den gesamten Film hindurch sieht man nur einen Jungen, der sich durch den Mord an seiner Mutter symbolisch vom Leistungsdruck der japanischen Gesellschaft befreit hat und wie ein Besessener an winterlichen Naturlandschaften vorbei radelt. Während diese langen, häufig mit verschiedenen Musikstücken untermalten Sequenzen dem Zuschauer viel Interpretationsspielraum lassen, zeigen Begegnungen mit Arbeitern und Kriegsveteranen, daß Wakamatsu seinen agitatorischen Wurzeln treu geblieben ist. Die mal kürzeren, mal längeren Monologe klagen dabei die aktuelle Industrialisierung ebenso an, wie sie die japanische Kriegsschuld thematisieren, die dort immer noch weitgehend totgeschwiegen wird.
Gerade die Tabus und Verdrängungsmechanismen der japanischen Gesellschaft, ebenso wie die Angst vor einer Verletzung des Nationalstolzes, fanden sich auch in anderen Filmen des Festivals. Shun Nakaharas "Domestic Violence" behandelt mit häuslicher Gewalt zwar ein internationales Problem, zeigt aber die langsame (Fehl-)Entwicklung eines scheinbar glücklichen Paares anhand der Konventionen der japanischen Gesellschaft. Ist der Schluß von "Domestic Violence" jedoch furchtbar belehrend und moralisch, so zeigt ein weiterer Beitrag ein ähnliches Problem, dafür aber hoffnungsloser und ohne moralischen Zeigefinger. Dabei läßt sich die Problematik von Masahiro Kobayashis Bashing auf den ersten Blick für einen Westler eher schwer nachvollziehen: Eine junge Entwicklungshelferin wird in einem Land, das nicht explizit genannt wird, aber wahrscheinlich der Irak ist, als Geisel genommen und erfährt nach ihrer Rückkehr Anfeindungen von allen Seiten. Nachdem Tochter und Vater wegen dieses Vorfalls ihre Arbeit verlieren, spitzt sich die Lage immer weiter zu und endet in einer Tragödie. Der gesamte Film ist fast wie eine Dokumentation aufgenommen, und die blaustichigen, kalten Bilder verstärken die emotionale Kälte der Figuren. Nachdem "Bashing" bereits im Wettbewerb von Cannes lief, wird er wegen seiner aktuellen Thematik wahrscheinlich auch den Weg in die deutschsprachigen Kinos finden.
Das Programm der "Nippon Connection 2006" zeichnete sich nicht nur durch die gewohnte Themenvielfalt aus, sondern zeigte auch eine im Westen noch stark unterrepräsentierte Strömung. Hier, wo man sonst eher nach den poppigen und skurrilen Aspekten Japans verlangt, sind Filme, die politisch motiviert sind oder sich den Krankheiten der japanischen Gesellschaft widmen, noch weitgehend unbekannt. Bleibt zu hoffen, daß sich die "Nippon Connection" auch im nächsten Jahr wieder weniger auf das Abfeiern überstrapazierter Japanklischees verlassen wird und sich dafür mehr auf die Erforschung neuer Randzonen konzentriert.
Michael Kienzl
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