Stories_"Kino Killer" revisited: Werner Kniesek
Der Villenmörder
Lange bevor das österreichische Kino den Teenie-Schlitzer für sich entdeckte oder der Name Haneke ein Begriff war, brachte der Villacher Gerald Kargl in "Angst" bereits 1983 die Geschichte eines echten Serienkillers auf die Leinwand. Wir erinnern uns ...
03.10.2007
Ich liebe es, wenn Frauen vor mir in Todesangst zittern. Das ist wie eine Sucht, man kann nicht mehr aufhören.
Werner Kniesek beim Verhör vor dem Untersuchungsrichter
Der Fall: "Häfenurlauber begeht Mord - aus reiner Lust am Töten!" Was sich wie eine aktuelle Schlagzeile liest, versetzte die österreichische Öffentlichkeit schon 1980 in helle Aufregung und führte zu schweren Angriffen auf die Justizbehörden.
Wahrscheinlich hätte man den damals 34jährigen Salzburger Werner Kniesek, der von einem Gerichtspsychiater als "schwer abnorm, aber nicht geisteskrank" eingestuft wurde, tatsächlich nicht wieder auf die Menschheit loslassen dürfen.
Kniesek wird 1946 als unehelicher Sohn einer Witwe und eines schwarzen US-Besatzungssoldaten geboren. Werner, das von allen verhätschelte "liebe Negerbaby", entwickelt sich zum braven, höflichen Buben und gerät erst als Lehrling auf die schiefe Bahn. Er stiehlt, reißt aus, schwänzt die Berufsschule.
Am 5. Juni 1962 beschließt Werner Kniesek, seine schon lang geplante Flucht ins Ausland in die Tat umzusetzen. Er stiehlt seiner Mutter - die damit gedroht hat, ihn der Fürsorge zu übergeben - einen größeren Geldbetrag und sticht dann mit einem Brotmesser auf sie ein. "Ja, Mutti, du mußt sterben, es nützt dir alles nichts!" brüllt der 16jährige dabei. Dann läßt er die Schwerverletzte blutend zurück und fährt mit dem Zug nach Hamburg, wo er zwei Tage später verhaftet wird.
Er wird verurteilt, doch bereits nach zwei Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen - wenn auch nur für kurze Zeit: Wegen mehrerer Einbrüche und dem Mordversuch an einer 73jährigen kommt der junge Mann, der inzwischen eine Prostituierte geheiratet hat, wieder hinter Gitter.
Im Jänner 1980 erhält Kniesek einen dreitägigen Hafturlaub, um sich nach Arbeit umsehen zu können; sein Gefängnisaufenthalt soll wenige Wochen später zu Ende gehen. Er fährt aus Oberösterreich nach St. Pölten, wo er in die Villa der 55jährigen Witwe Gertrude Altreiter eindringt. Als er durchs Haus schleicht, trifft er dort den an den Rollstuhl gefesselten 27jährigen Sohn der Familie an. "Dich bring´ ich um", sagt Kniesek zu ihm, "aber das hat noch Zeit."
Als die Mutter und ihre Tochter Ingrid vom Einkaufen heimkommen, bedroht der Hafturlauber die beiden Frauen mit einer Gaspistole, fesselt sie und schleppt sie in getrennte Zimmer. Das Mädchen reißt sich die Kleider vom Leib und bettelt: "Ich tue alles, aber laß uns leben." Kniesek hat für ihre Angst nur ein grausames Lächeln übrig. "Ich wil euch alle nur sterben sehen", antwortet er. Er erwürgt zuerst den gelähmten Sohn, zeigt der schwerkranken Mutter dann die Leiche ihres Kindes und tötet auch sie. Nach stundenlangen sadistischen Mißhandlungen erdrosselt er schließlich die 25jährige Studentin. Sogar die Katze der Altreiters muß dran glauben - "weil mich das Jaulen störte", sagt er später.
Er verbringt die Nacht schlafend neben den Toten, packt die Leichen seiner Opfer am nächsten Morgen in den Kofferraum des Mercedes der Familie und fährt damit nach Salzburg, wo er auffällt, weil er nervös in einem Aktenkoffer voller Geld wühlt. Als Kniesek zum gestohlenen Auto zurückkehrt, wird er bereits von Gendarmen erwartet. Nach einem erfolglosen Selbstmordversuch in der Arrestzelle legt er ein erstes Geständnis ab: "Ich habe sie aus reiner Lust am Töten umgebracht (...) Ich gab der Mutter Herztropfen, damit sie die Todesqualen besser erleben konnte."
Beim Prozeß ersucht der Mörder, der auch diesmal wieder für zurechnungsfähig erklärt wird, selbst um Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Er gesteht, "von Kindheit an einen Drang zum Morden verspürt zu haben" und weitere Tötungsdelikte nicht ausschließen zu können. Werner Kniesek wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Ausbruchsversuch 1983 geriet erneut zum Skandal.
Der Film: Angst/Österreich 1983
Regie: Gerald Kargl / Buch: Gerald Kargl, Zbigniew Rybczynski / Musik: Klaus Schulze / Kamera: Zbigniew Rybczynski
Darsteller: Erwin Leder, Silvia Rabenreither, Edith Rosset, Rudolf Götz
Ein ungewöhnlicher, aufwühlender Eintrag in die von gähnender Langeweile und falschem Kinoverständnis geprägte Historie des "neuen" österreichischen Films. Während das Gros der Filmemacher der Alpenrepublik wirklich kontroversielle Themen ebenso meidet wie straightes Genrekino (und stattdessen nie aufhört, die Fadesse studentischer Beziehungen abzubilden oder die NS-Vergangenheit zu "bewältigen"), wagt sich "Angst" in Gebiete vor, wo sich True-Crime-Movie und Horrorfilm nahtlos vermischen - Dämmerzonen, in denen auch die meisten der in "Kino Killer" beschriebenen Filme angesiedelt sind. Der einzige Streifen des Regisseurs Gerald Kargl scheut nicht davor zurück, Tabuzonen wie Gewalt, Ekel und Sadismus leinwandgerecht zu inszenieren.
Kargl und sein Koautor (und Kameramann) Rybczynski wurden vom drastischen Fall des Werner Kniesek angeregt, der 1980 die österreichische Medienlandschaft und Öffentlichkeit erregte. Man entschloß sich aber nach Einsicht in die Polizeiakten und Recherchen, die Namen und Details zu ändern.
Der Film (der beinahe in Echtzeit spielt) beginnt mit der Entlassung eines namenlos bleibenden Verbrechers aus der zehn Jahre langen Haft und seinen sofort wieder einsetzenden Mordphantasien. Kaum in Freiheit, versucht er eine Taxifahrerin zu erdrosseln, was aber mißlingt. Angepeitscht von seinen fiebrigen Gedanken (aus dem Off gesprochen, bilden sie den Hauptanteil der überaus dialogarmen Tonspur) und dem pulsierenden Synthie-Soundtrack von Klaus Schulze flüchtet der Täter durch ein Waldstück und gelangt in ein Villenviertel. Er bricht in ein verlassenes Haus ein und trifft dort einzig auf einen geistig Behinderten im Rollstuhl. Doch kurz danach nähern sich in einem Wagen die zwei anderen Bewohner der Wochenendvilla, eine ältere Frau mit ihrer jungen Tochter.
Während der Killer im Off über seine kaputte Kindheit, sexuelle Phantasien, Mißbrauch und Vergewaltigung deliriert (ein Monolog, den der Regisseur aus Knieseks Aussagen, aber auch aus Geständnissen des deutschen Massenmörders Peter Kürten destillierte), stürzt er sich wie ein Rasender auf die Hausbewohner und beginnt seine Tötungsakte. Den Behinderten ertränkt er in der Badewanne, die Mutter erwürgt er, die Tochter wird mit einem Küchenmesser geradezu geschlachtet und post mortem mißbraucht – das alles in endlos langen, um Realismus bemühten Einstellungen, von einer dynamischen Kamera, die wie ein Amokläufer durch das Haus hetzt, festgehalten. Ebenso viel Zeit widmet "Angst" der Zeit nach den Morden, zeigt, wie sich der Täter wäscht, die Leichen in den Kofferraum zerrt und schließlich - vom Wahnsinn getrieben - direkt in die Arme der Polizei davonrast.
Die Intention, einen mehrfachen Mord von Anfang bis Ende in seinen grausigen, langwierigen Details zu zeigen, ohne ihn auf leinwandwirksame Schockmomente zu verkürzen, ist mutig. Schließlich geht es Kargl darum, Gewalt in all ihrer Stumpfheit und Ausführlichkeit darzustellen, keinesfalls um Ästhetisierung. Allerdings liegt in der ausschließlichen Beschränkung auf den Mord selbst nicht nur die Radikalität, sondern auch eine Schwäche des Films. Wo keinerlei dramaturgisch aufgebaute Geschichte erzählt wird, wo es keine Handlungswendungen oder spannungsgeladenen Dialoge gibt, reduziert sich auch die Involviertheit des Zusehers in das Geschehen manchmal auf ein geringes Maß. Die (beabsichtigte) quälende Dehnung des Geschehens läßt einen schon des öfteren genervt auf dem Kinosessel hin- und herrutschen.
Dennoch: "Angst" gebührt Lob für die filmische Beweisführung, daß sich die desorientierte österreichische Seele um nichts von der in den USA oder anderen Ländern unterscheidet: So wie der eindringliche Erwin Leder in den zerrissenen Off-Sätzen seine Kindheit beschreibt, hätte auch Henry Lee Lucas über sein Leben reden können. Dankenswerterweise reagiert "Angst" auch, trotz etlicher psychoanalytischer Fingerzeige im gesprochenen Text, auf hämische Weise auf das schlichte Katalogisieren von Charakteren wie Kniesek. Niemandem gelingt es wirklich, unter ihre Oberfläche zu blicken. Der Spezies "Gerichtspsychiater" und ihren Gutachten, dem ganzen schwierigen Komplex "Resozialisierung/Krankheit und Heilung" etc. hält der Film den provokanten Mittelfinger entgegen. Es geht weder um den reaktionären Blickwinkel, der sagt, die Idee des Hafturlaubs sei an den Villenmorden schuld, noch um einen humanistischen Gegenansatz: "Angst" zeigt bloß, bildet ab und enthält sich einer Position.
Wie "Mann beißt Hund" oder "Henry - Portrait of a Serial Killer" sagt "Angst" aus: Es gibt einfach diese Menschen unter uns, die trotz des jahrhundertelangen Zivilisationsprozesses einen Genuß daraus ziehen, andere zu foltern und zu ermorden. Now deal with it.
Christian Fuchs
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