Stories_Gene Gregorits - Midnight Mavericks
Bekenntnisse aus dem Untergrund
Mit "Mitternachtskino" kratzten Hoberman und Rosenbaum 1983 bereits an der Oberfläche. Doch erst Gene Gregorits taucht mit einem Interview-Band richtig in die Welt der subversiven Kunst ein - und liefert intensive Gespräche mit subkulturellen "Helden".
23.04.2007
Amerika hat uns vieles voraus - und damit meinen wir weder schwergewichtige Herzinfarktkandidaten noch amoklaufende Schulbuben, sondern das Phänomen des Mitternachtskinos und der Drive-in-Double-Features.
Während letztere eher trashiger Natur waren - Rodriguez und Tarantino liefern mit "Grindhouse" demnächst ihr Liebesbekenntnis zum Thema ab -, fanden sich in schummrigen New Yorker Kinosälen während der 60er und 70er Jahre zu später Stunde unruhige Geister ein, um dem etwas anderen Film zu huldigen. Ob "Rocky Horror Picture Show", "El Topo", "Night of the Living Dead" oder die Ergüsse eines John Waters, Andy Warhol oder Fernando Arrabal - Avantgarde-Freaks wie Gorehounds starrten eineinhalb Stunden staunend auf die große Leinwand und ließen das Gesehene tief in ihr Unbewußtes (und das kollektive auch gleich) einsickern.
Standards have dropped. It´s barely even considered hip to have heroes anymore. Too often, the stage is inhabited by scenesters, not psychotics ... the screens are occupied by movies about other movies… the pages are regurgations of other better pages. But we do need heroes, we need excessive mutants to remind us what danger looks, smells and tastes like. I don´t know about you, but for me the fun doesn´t really start until someone breaks something.
… fuck art/ let´s kill
Gene Gregorits
In den USA ist diese Kino-Ära vorbei. Im "zivilisierten" Europa hatte sie nie eine Chance - und wird im Zeitalter der faden Multiplexe und noch faderen Programmkinos wohl auch keine mehr kriegen. Wahrscheinlich kamen hiesige Filmverleiher deshalb auf die krause Idee, das Double-Feature "Grindhouse" außerhalb der USA auf zwei Filme aufzuteilen und mit viermonatigem Abstand in die Kinos zu bringen ... Von wegen Globalisierung! Boykottieren Sie (nicht nur in diesem Fall) die Filmabspielanstalten und besorgen Sie sich den Streifen lieber gleich als Import-DVD.
Doch zurück zum Thema: Dank WWW, DVD und Online-Shopping ist es mittlerweile viel einfacher, an Obskurfilme aller Art zu kommen. Bis vor zehn Jahren mußte man noch Beziehungen spielen lassen und/oder viel Geld auf den Tisch legen, um in den Genuß einer VHS-Kopie der 125. Generation zu kommen, bei der man dank miserabler Bild- und Tonqualität nur noch erahnen konnte, was sich tatsächlich auf dem Bildschirm abspielte.
Auch Publikationen zum Thema waren (und sind) in deutscher Sprache dünn gesät. Lediglich Fanzines wie "Splatting Image", "Film-Logbuch" oder "Dark Movies" versorgten Interessierte mit fachgerecht aufgearbeiteten Informationen. Wer des Englischen mächtig war, stieg ohnehin rasch auf Chas. Baluns "Deep Red" oder Harvey Fentons "Flesh and Blood"-Bände um - und importierte bei der Gelegenheit auch gleich die Veröffentlichungen der britischen "Creation Cinema"-Reihe.
The trouble is now, there just aren´t enough pissed-off people. All the hippies and radicals and Students for a Demographic Society members ... I guess once they got the degree, became lawyers or accountants, that, "gee, it wasn´t such a bad place after all".
Chas. Balun
Seit einigen Jahren gehören die meisten Bücher aus dem Verlag FAB Press (gegründet von besagtem Harvey Fenton) zum Pflichtprogramm wißbegieriger Kulturbeobachter. Mit "Midnight Mavericks" legt FAB jetzt Gene Gregorits knapp 350seitigen Interview-Band in Sachen Underground vor und versammelt darin Größen aus der Musik-, Film-, Comic-, Journalismus- und Performance-Szene. Und weil der 76er-Jahrgang Gregorits niemals das Prädikat "Journalist" für sich in Anspruch genommen, sondern stattdessen seinerzeit ein Fanzine namens "Sex & Guts" an eine Handvoll Menschlein verteilt hat, darf man sich als Leser in freudiger Erwartung zurücklehnen.
Bereits das Inhaltsverzeichnis läßt die Herzen passionierter Subculture-Süchtiger höher schlagen, bevor sie auch nur eine Zeile gelesen haben: Da finden sich "Re-Animator"-Regisseur und Lovecraft-Fan Stuart Gordon; der große Joe R. Lansdale, der uns nicht nur die "Drive-In"-Trash-Taschenbüchlein - mit reichlich Blut und Beuschel versetzte Hohelieder auf das Autokino und die B-Movie-Kultur - servierte, sondern sich auch mit seinen "Hap & Leonard"-Krimis in die Herzen der Noir-Fans hämmerte; und "Pink Flamingos"-Regisseur John Waters, der die Transvestiten bereits tanzen ließ, als es noch keine "Gender-Mainstreaming"-Gehirnwäsche gab.
The problem I had with being thought of as a splatterpunk, or with splatterpunk, was that I thought that it gave people carte blanche just to sit and figure out the nastiest way to kill somebody. ... To have no other substance than that.
Joe R. Lansdale
"This is a feminist bookstore, we don´t have a humour section" ... It is politically incorrect to be a male.
John Callahan
Every time we have penetrated the hymen of the establishment, we get fucked. Meanwhile we´re still here after 30 years, thanks to our fans.
Lloyd Kaufman
Republicans and Democrats are two arms of the same monster.
Jim Goad
I get so tired of people wanting me to feel better so that they´re more comfortable.
Vanessa Skantze
Weiter geht´s mit dem einzigartigen südafrikanischen Filmemacher Richard Stanley (dessen großartiger "Dust Devil" erst unlängst gemeinsam mit einem Großteil seines filmischen Lebenswerks von Subversive Cinema auf DVD veröffentlicht wurde), dem von der deutschen Zensur einst für seine nekrophilen Liebeleien geächteten Filmemacher Jörg Buttgereit und natürlich Nik Zedd oder Lydia Lunch.
Und weil wir gerade dabei sind - ebenfalls mit von der illustren Partie sind Nico B. (der Mann hinter dem US-Label Cult Epics, als Regisseur für den ebenfalls erst kürzlich neu aufgelegten und an die Nieren gehenden Kurzfilm "Pig" verantwortlich), der New Yorker Filmemacher und Schriftsteller Buddy Giovinazzo ("Combat Shock", "Cracktown"), Bad Boy Jim Van Bebber ("Deadbeat at Dawn", "The Manson Family"), der Alptraumszenarist und Photograph JK Potter (allein wegen seiner Bilder sollte man dieses Buch gesehen haben: Es lebe das neue Fleisch!), die Performance-Künstlerin Vanessa Skantze , Jack Ketchum, Abel Ferrara, Nick Tosches, Troma-Kaiser Lloyd Kaufman usw. usf.
Daß Gregorits und einer seiner Gesprächspartner während eines Interviews übrigens beinahe aus einem Restaurant geflogen wären, unterstreicht nur die Lebendigkeit und Unterhaltsamkeit ihrer Themen.
Auch nur auf einen einzigen der hier interviewten Künstler, dessen soziokulturelles Umfeld oder die jeweiligen - quer durch die Bank lesenswerten - Gespräche sowie dazugehörigen Artikel näher einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Sollten ihnen also nur einige der genannten Herrschaften etwas sagen, haben Sie Wunderbares zu erwarten. Kennen Sie keinen davon, herrscht absoluter Konsumzwang, sofern Sie sich mit widerspenstigen Grenzgängern auseinandersetzen wollen. Und ist Ihnen tatsächlich jeder der Befragten ein Begriff, dann haben Sie "Midnight Mavericks" wahrscheinlich ohnehin schon im Regal stehen - oder zumindest auf der Einkaufsliste. Sicher ist jedenfalls, daß dieses Werk in keinem Bücherschrank fehlen sollte und sich ideal neben "Dark Stars", dem Interviewbüchlein zu Jodorowskys "El Topo" oder einem Bildband von Joel-Peter Witkin macht ...
Dem Lesestoff liegt übrigens auch noch eine 80minütige CD bei, auf der sich neben zahlreichen Gesprächen ungeschliffene (und teilweise bisher unveröffentlichte) Juwelen der interviewten Bands befinden; dieser Bonus macht aus einer ohnehin bereits großartigen Veröffentlichung ein unverzichtbares Kleinod. Robbie Edmonstones wunderbaren - und für ihn mittlerweile untypischen - "Midnight Mavericks"-Track etwa bekommt man so schnell nicht mehr aus den Gehörgängen ...
Noch Fragen?
I am actually repulsed by the whole idea of being famous.
JK Potter
Jürgen Fichtinger
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