Was bedeutet "Reunion" in Neusprech? Richtig: schon lange nix mehr auf den Markt geworfen. Aber das klingt halt nicht "supercool" und ist auch nicht englisch - und damit für das SMS-Gefasel der Unmündigen ungeeignet. Ernest Meyer deckt eine weitere saudumme Machenschaft der Plattenindustrie auf.
Anläßlich des aktuellen und in Fachkreisen hitzig diskutierten Human-League-Albums "Secrets" wird der geübte Musikhörer gleich mit zwei bedeutenden Erkenntnissen konfrontiert.
Die erste lautet: Egal, was die gewöhnlich schlecht informierte Journaille behauptet - Bands, die seit fünf Jahren oder länger keinen Tonträger veröffentlicht haben, feiern nicht automatisch ihre Reunion, nur weil sie im Jahr 2001 eine neue Scheibe auf den Markt bringen. Das ist Unfug, bitte sehr. Human League beenden (wie viele andere Formationen, für die sich vor dem Eighties-Revival kaum noch jemand interessiert hat) mit diesem Release nur eine längere Schaffenspause. Schließlich hat ja nicht jede Gruppe einen 08/15-Vertrag mit ihrem Label abgeschlossen, der sie zwingt, alljährlich mindestens ein Album plus unzählige Maxis und Videos rauszubringen, auch wenn es sich dann dabei um übelsten Schrott handelt.
Die zweite Erkenntnis ist trauriger und kann einen, wenn man emotional entsprechend veranlagt ist, eventuell sogar wütend machen: Anscheinend ist es heutzutage verboten, als Synthpop-Fan der ersten Stunde abends mit feuchten Augen vor der HiFi-Anlage zu sitzen, um sich dem rein nostalgischen Erlebnis hinzugeben, alte Scheiben längst vergangener 80er-Heroen zu hören. Die kommerzielle Realität verleidet einem dieses melancholische Vergnügen. Warum müssen Human League bloß wieder aus ihrem Frisiersalon in Sheffield kriechen und sich auf der Holzbühne im U4 mittels quälendem Playback prostituieren?! Plötzlich langweilen uns die Herrschaften nur noch - und das alles, weil irgendein Marketing-Depp die Idee hatte, anläßlich des neuen Albums die oben erwähnte, hirnrissige "Reunion" zu promoten...
Anscheinend ist es zwecks "Noch-Einmal-Abzocken" der sprichwörtlichen breiten Masse (die bis auf ein, zwei Nummern eh nichts von Human League kennt) notwendig, den eigentlichen Genre-Fans den letzten Rest Sentimentalität auszutreiben und jegliches Gefühl der Erinnerung an die "guten alten Zeiten" mit noch nie dagewesener Merchandising-Gewalt zunichte zu machen. Ja, vor zehn Jahren wären Human League live interessant gewesen - oder besser noch vor 18 Jahren, am Höhepunkt ihrer Karriere ("Don´t You Want Me", 1983), obwohl selbst die damalige Band-Besetzung nichts mehr mit den Ursprüngen der "Being Boiled"-Zeit zu tun hatte.
Doch damit nicht genug; für den Herbst werden tragischerweise noch mehr "Reunions" erwartet. Und das heißt eben nur, daß alte Bands nach langer Pause eine neue Scheibe rausbringen. Zur aufgewärmten Kost, die sich nicht zu schade ist, zärtlich gehegte Illusionen zu zerstören, gehören u. a. New Order, Soft Cell (ja, wirklich!) und - wenn man einem besonders hartnäckigen Gerücht glauben will - sogar Cabaret Voltaire (das wäre aber dann zur Abwechslung eine echte Reunion).
Und der Rest der einst so blühenden Synthie-Szene? Heaven 17 brachten bereits 1996, naturgemäß gänzlich unbemerkt von der Öffentlichkeit, ihr gar nicht übles und ziemlich politisches Album "Bigger Than America" in die Läden. New-Romantic-Veteran John Foxx (Ex-Ultravox-Sänger, vor dem unsäglichen Midge Ure) war gar schon 1995 mit "Shifting City" wieder da, um zu beweisen, daß er auch noch nach 15 Jahren musikalischer Werktätigkeit auf fetzige Beats steht, die mit seinem vertraut düsteren Gesang kombiniert wurden. Urteil: sehr gut!
Warum sich niemand dieser Platten angenommen hat? Ganz einfach: Die zuständigen Plattenfirmen hatten einfach kein Interesse, sie Marketing-mäßig zu unterstützen. Oder aber die Künstler waren ausnahmsweise integer genug, sich der Endlosverwertung zu widersetzen. Schließlich sind ja eher die Musikkonzerne daran interessiert, ihr Backorder-Angebot immer und immer wieder an den Mann zu bringen; den Bands selbst geht es gelegentlich auch um andere Dinge, wie z. B. die künstlerische Weiterentwicklung.
Dabei hätten sie es gerade in unserer Post-Techno-Ära, wo alles, was älter als zwei Monate ist, schon als "out und vergessen" gilt, besonders leicht, sich immer und immer wieder "neu entdecken" zu lassen. (Absichtlich) Uninformierten kann man schließlich alles andrehen.
Ergo ist es auch kein Wunder, daß sich Philip Oakey und seine beiden Background-Schnitten "in ihrem Alter" nicht zu blöde sind, abermals zu posieren wie einst im Disco-Fieber. Dennoch ist es immer wieder erschütternd, wozu man Berufsjugendliche treiben kann; blanker Geltungstrieb und Eitelkeit können für diesen dritten Frühling ja nicht mehr verantwortlich sein. (Das wissen wir, weil Oakey erst unlängst per Interview verkünden ließ, er habe es ja gar nicht mehr nötig, Musik zu komponieren, sondern lebe zurückgezogen und unerkannt in seinem Haus in Sheffield, wo er den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als seine Tantiemen zu zählen.)
Was wir daraus lernen können? Der Zeitgeist ist endgültig tot - und mit der Kommerzmusik verhält es sich ebenso wie mit Modetrends: Bestimmte Strömungen kehren zyklisch immer wieder. Vielleicht liegt es auch daran, daß die technologischen Möglichkeiten der Musikherstellung ausgereizt scheinen und die Industrie deshalb auf die verstaubten, noch halb in Erinnerung befindlichen Größen der Achtziger zurückgreifen muß.
Notwendig wäre das allerdings nicht, da heute in Summe soviel veröffentlicht wird wie nie zuvor - und zwar auf allen Sektoren, von Electronics bis Dance, von Hitparaden-Teenie-Trottel-Techno bis hin zu experimentellem Ambient. Aufmerksame Musiksammler freuen sich sowieso über jeden neuen Release ihrer Lieblingsbands. Der Verfasser dieser Zeilen kann es beispielsweise kaum erwarten, bis das neue New-Order-Album erhältlich sein wird. Denn ob "Reunion" oder nicht: Der Sommer ist noch lange nicht vorbei.