Die BAWAG Foundation präsentiert mit "The Divine Shell" die erste Einzelausstellung von Lee Bul in Österreich. Andrea Schellner sprach mit der südkoreanischen Künstlerin über Cyborgs, Geschlechterrollen und die Risiken von moderner Technologie im 21. Jahrhundert.
Am Beginn ihrer Karriere schockierte Lee Bul die Öffentlichkeit, indem sie sich Plastikorgane umhängte und nur mit diesen "bekleidet" durch die Straßen von Seoul zog. Seit dieser Performance mit dem Titel "Abortion" sind zwölf Jahre vergangen. Der menschliche Körper spielt aber nach wie vor eine wesentliche Rolle in den Arbeiten der 36jährigen südkoreanischen Künstlerin - wie etwa in ihren jüngsten Cyborg-Skulpturen.
EVOLVER: Lee, deine erste Einzelausstellung in Österreich entführt die Besucher in das futuristische Reich der Cyborgs. Gibt es Cyborg-Filme und -Comics, die deine Kreationen besonders inspiriert haben?
Lee Bul: Ich würde sagen, das japanische Anime "Ghost in the Shell" von Mamoru Oshii ist eine der beeindruckendsten Studien über Cyborgs und die Befreiung von körperlichen Hüllen. Es gibt für mich noch andere interessante Bezugspunkte, wie etwa den Computer HAL in Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssey", und natürlich die Replikanten in "Blade Runner", die alle ähnliche Territorien erforschen. Aber visuell fühle ich mich einfach mehr zu japanischen Animationsfilmen hingezogen, weil diese aus einem tieferen philosophischeren Kontext heraus entstehen als Hollywood SciFi-Movies, die dazu neigen, alles zu simplifizieren.
EVOLVER: Inwiefern hatte Donna Haraways Buch "A Cyborg Manifesto" Einfluß auf deine Cyborgs?
Lee Bul: Haraways "Cyborg Manifesto" ist insofern relevant, weil es die Cyborg-Metapher in Zusammenhang mit der allgemeinen Diskussion über Geschlechterrollen, Politik und Wissenschaft untersucht. Laut ihrer Philosophie könnten verschiedenste Manifestationen des Cyborgs ein möglicher Weg sein, um die Diskrepanz im Geschlechter- und Klassenkampf zu beseitigen. Allerdings finde ich ihre Ansätze zum Teil sehr utopisch und spekulativ. Die Frage ist, ob neue Technologien wirklich die Grenzen zwischen den Geschlechtern auslöschen können oder diese stattdessen nicht noch verschärfen.
EVOLVER: Der Körper und dessen Abwesenheit scheinen in deiner Arbeit eine große Rolle zu spielen. Du kreierst Cyborgs, denen Organe und Gliedmaßen fehlen. Welche Philosophie steckt dahinter, unvollendete Körper zu zeigen?
Lee Bul: Die Unvollständigkeit meiner Cyborg-Figuren versucht, unseren Glauben an die Perfektion in Frage zu stellen. Die Idee, daß die Menschheit kontinuierlich nach immer größerer Perfektion strebt, ist tief in unserer Kultur verankert und gewinnt gerade heute, im Zeitalter der technologischen Revolution, immer mehr an Bedeutung. Was ich dabei interessant finde, ist der Widerspruch, die gleichzeitige Zu- und Abneigung zu unserem Körper. Einerseits versuchen wir, ihn stärker und schöner zu machen, andererseits treibt uns die Sehnsucht aber an, uns aus der Hülle unseres Körpers zu schälen, ihm zu entfliehen und ein virtuelles Selbst zu schaffen, das durch keinerlei physische Einschränkungen limitiert ist. All diese Gedanken sind natürlich nicht neu. Es handelt sich da um die uralte Gedanken-Körper-Dichotomie. Und all die High-tech-Entwicklungen in den Bereichen der Biotechnologie und Artifical Intelligence bringen uns schlußendlich nur zu der fundamentalen Frage zurück, wo unsere Menschlichkeit zu finden ist - und inwiefern sich unser Selbstbewußtsein tatsächlich von jenem des Computers HAL unterscheidet.
EVOLVER: Einige deiner Werke, wie zum Beispiel das Ballon-Monument "Hydra" oder die Karaoke-Installation "Gravity Greater Than Velocity" involvieren die Mitwirkung des Publikums. Was bezweckst du mit der Interaktion zwischen Kunstwerk und Betrachter?
Lee Bul: Ich war schon immer sehr mißtrauisch gegenüber dieser alten Vorstellung vom "Künstler als Genie", der in vorsätzlicher Isolation fern von Alltag und Realität arbeitet. Es stimmt schon, daß Kunst im Zeitalter der Massenmedien immer weniger Bedeutung für die Öffentlichkeit hat, aber gleichzeitig glaube ich auch, daß sich die Künstler selbst ganz bewußt von einem größeren Publikum entfernen. In einigen meiner Arbeiten, wie eben "Hydra" und "Gravity Greater Than Velocity", gibt die Partizipation der Zuschauer den Werken erst ihre eigentliche Bedeutung. Gleichzeitig versuche ich darin aber auch Situationen zu schaffen, die dem Publikum sinnliche Freuden bereiten. Denn meiner Meinung nach schreit ein Großteil der zeitgenössischen Kunst einzig und allein nach Betrachtung und Bewunderung, ohne dem Zuschauer auch nur irgendetwas zurückzugeben. Natürlich besteht bei solchen Werken, wo ich das Publikum involviere, auch die Gefahr, daß sinnliche Freuden zu banalem Entertainment werden.