In Deutschlands Hauptstadt kann man über alles reden - nur lieber nicht im Stiegenhaus, und vor allem dann nicht, wenn es um entscheidende Fragen von lokalem Interesse geht. Benny Denes präsentiert wieder einmal eine Momentaufnahme aus seiner Heimatstadt.
Wenn ich die Wohngegend, in der ich seit einigen Jahren lebe, beschreiben müßte, würde ich sagen: grün, aber doch zentral, metropolenhaft, aber auch proviziell, teuer, aber nicht überteuert. Vor einigen Wochen besuchte mich ein Freund aus Landshut und wohnte in meiner kleinen, netten Wohnung. Und gerade bei diesem Aufenthalt wollte es der Marc ganz genau wissen: "Wo genau auf Berlin bezogen wohnst du eigentlich?" fragte er in einem für solch eine Frage sehr ungünstigen Moment. In jeder anderen Stadt darf man so etwas sicherlich im Treppenhaus fragen, wenn die ältere Dame, die neben einem wohnt, an einem vorbeigeht und der Hausmeister die Stufen bohnert. In Berlin ist das ein großer Fehler.
Denn bevor ich noch antworten konnte, nahm mir meine Nachbarin, Frau Henkel, diese Aufgabe ab: "Wir sind hier in Friedenau, dit iss n Ortsteil von Berlin inner Mitte des Südens", sagte sie mit einem Nicken, welches den Nachdruck ihrer Worte verstärkte. Marc verstand noch nicht und ignorierte auch mein Zupfen an seinem Ärmel. Vermutlich wollte er es nicht verstehen: "Wie jetzt, ein 'Ortsteil', ich dachte, bei Städten nennt man das 'Bezirk'?" lautete seine Frage. Frau Henkel triumphierte: "Tja, junger Mann, denken wohl, ich bin schon etwas rieselig im Hirn. Ick weeß, daß dit Bezürk heißt, aba Friedenau iss keeen eijena Bezürk, sondern wiederum n Teil von nem Bezürk und dit nennt man nen Ortsteil", erklärte die ehemalige Einzelhandelskauffrau.
Ich ging behutsam zwei Stufen weiter, weil ich es mir mit Frau Henkel nicht verscherzen und trotzdem das Gespräch beenden wollte. Doch diese Geste kam zu spät, denn jetzt schaltete sich auch Herr Vetter in das Pläuschchen ein: "Wenn Sie so schlau sind", sprach er zu Frau Henkel, "wie heißt denn der Bezirk, zu dem Friedenau gehört?" Sie antwortete prompt und selbstsicher: "Steglitz. Dit müßten Sie doch wissen, schließlich mußten Sie sisch ja ooch beim Landeseinwohneramt Steglitz anmelden!" "Ja, aber unsere Post kommt vom Briefverteiler Schöneberg, und so ist auch die Postleitzahl. Und die Parkvignette für unseren Jetta haben wir auch in Schöneberg beantragt, das ist nämlich der Bezirk, zu dem der Ort Friedenau einmal gehört hat", konterte Vetter.
Marc hatte wohl auch gehört und folgte mir auf der Treppe, Frau Henkel und Herr Vetter störte es allerdings nicht die Bohne, daß wir uns aus dem Kaffeekränzchen verabschiedet hatten. Als ich eine halbe Stunde später den Müll herunterbrachte, stritten sie über die bevorstehende Bezirksreform, bei der Steglitz mit Zehlendorf fusionieren wird und eben nicht mit Schöneberg, was unser Hausmeister "alleine schon aus historischen Gründen" bevorzugt hätte. Als ich wieder oben war, zeigte ich Marc auf meinem Faltplan von Berlin die genaue Lage unseres Hauses. "Dankeschön!" sagte er.