Mercury Revs Musik zu widerstehen, ist mindestens genau so schwierig, wie ihr mit wenigen Worten auch nur halbwegs adäquat beizukommen. Gut, daß die beiden kreativen Köpfe Jonathan Donahue und Sean mit dem Titel ihres aktuellen Werks - "All Is Dream" - die Traummetapher selbst ins Spiel bringen.
Es geht also um den Traum, jene Zone hinter der bewußten Wahrnehmung, in der für flüchtige Momente etwas mehr Klarheit liegt; der Perspektive bietet, Handlungen enträtselt und deutet. Ein Rückzugsort mit Weitblick. Donahues Texte sind voll von solchen Anspielungen. Bereits auf dem Vorgängeralbum "Deserter´s Songs" hieß es: "Into a dream I took a turn, And promised never to return". Drei Jahre später hört sich das dann so an: "I dreamed of you on my farm, I dreamed of you in my arm, But my dreams are always wrong." Sind Träume also letztendlich doch nur ein Auffangbecken für Projektionen?
Diese verwirrenden Widersprüche und Uneindeutigkeiten lassen sich auch problemlos auf die musikalische Umsetzung ummünzen. Anmutig ist sie in ihrer Schönheit, unantastbar, aber doch flüchtig und zerbrechlich. Der Verweis auf Filmmusik drängt sich auf (nicht zuletzt haben Donahue und Sean früher Klangwelten für Experimentalfilme produziert); besonders bemerkbar ist dies beim opulent ausarrangierten Opener "The Dark Is Rising", der einen in seiner Monumentalität beinah erschlägt. Die Flaming Lips mögen sich als Vergleich aufdrängen, der allerdings nur bedingt fruchtet, obwohl Überschneidungen bestehen: Donahue war früher selbst bei den Lips engagiert, außerdem sind beide großartig produziert von Dave Fridmann. Und überhaupt scheint gerade Fridmann einen nicht unerheblichen Anteil an der beinahe virtuosen Ausgewogenheit von Song-Struktur, Melodieführung und Klanglandschaft zu haben.
Irgendwo zwischen überbordendem Stummfilm-Score, Phil-Spector-artigen Arrangements, Pop und Pomp, Soul und Schmalz haben sich Mercury Rev ihre sehr eigene Nische eingerichtet. Auf seltsame Weise schweben sie zwischen vergangenen und Traumwelten, zwischen den Orten. Pathos in Cinemascope, Schönmusik in Riesenlettern, schwelgerische Sentimentalität - all das haben Mercury Rev zu bieten. Und noch mehr: die wohl schönste Liebesbekundung seit Ewigkeiten ("You‘re My Queen"), mit Engelschören, ausgedehnten Streichereinsätzen, singenden Sägen, großen Gefühle und noch größeren Melodien. Wer da jetzt Schmalz ruft, ist selber schuld und hat sich Mercury Rev auch nicht verdient. "All Is Dream" ist das Mehr des Indie-Rock, das Gesicht in der Menge, der Hoffnungsschimmer im Mittelmaß.
|