Bestie Mensch

Historische Kriminalromane sind in den letzten Jahren zu einer wahren Plage geworden. Während die literarischen Detektive im alten Ägypten, im Mittelalter oder gar im Inkareich fleißig ermitteln, wagt sich jedoch kaum ein Autor ans Dritte Reich. J. Robert Janes ist eine lobenswerte Ausnahme.

Schauplatz: Lyon, im okkupierten Frankreich. Kurz vor Weihnachten des Jahres 1942 geht dort ein vollbesetztes Kino in Flammen auf; das Feuer tötet 183 Menschen, die sich gerade Renoirs "La Bête humaine" angesehen haben. Zu den Ermittlungen reist eines der ungewöhnlichsten Teams der Kriminalliteratur aus Paris an: der Sureté-Oberinspektor Jean-Louis St.-Cyr und der Gestapo-Mann Hermann Kohler. Daß die beiden zusammenarbeiten, dafür haben die politischen Ereignisse gesorgt; echte Partner konnten sie aber nur durch ihre polizeilichen und menschlichen Qualitäten werden.

Der Fall, der laut Anweisung aus Berlin möglichst schnell und unspektakulär (d. h. am besten mit der üblichen Hinrichtung bei Nacht und Nebel) gelöst werden soll, damit man ihn zu den Akten legen kann, ist natürlich nicht so einfach, wie er auf den ersten Blick aussieht. Hinter dem Massaker steckt ein Brandstifter - der "Salamander" aus dem Titel -, der schon einige Male zugeschlagen hat, und das anscheinend auch in Deutschland selbst. Je mehr die beiden Polizisten ermitteln, desto tiefer dringen sie dabei in die "bessere Gesellschaft" der Stadt vor, wo es statt Lebensmittelkarten jeden Luxus und statt des täglichen Existenzkampfs Bordelle gibt, in denen sämtliche perversen Gelüste befriedigt werden. Die Spur führt aber auch ins Hotel Terminus, wo der "Schlächter" Klaus Barbie mit seiner Killertruppe haust, und zu mächtigen Nazis, mit denen man sich besser nicht anlegen sollte.

Wie der kanadische Autor J. Robert Janes in seiner mittlerweile zehnteiligen St.-Cyr-und-Kohler-Reihe (deren vierter Band "Salamander" bei DuMont Noir als erster in deutscher Sprache erschienen ist) die Verhältnisse im Frankreich des Zweiten Weltkriegs beschreibt, das wird hauptberuflichen Antifaschisten weniger gefallen - weil hier nämlich nicht schwarzweißgemalt wird. Oder, um aus dem Nachwort des Herausgebers Martin Compart zu zitieren: "Fernab allen dümmlichen Betroffenheitsgelalles zeigt Janes eindrücklich den alltäglichen Terror der Besatzer und den dauernden Überlebenskampf der einfachen Menschen."

Genau solche einfachen - und zutiefst anständigen - Menschen sind auch seine Helden. Jean-Louis ist ein französischer Patriot, der einschlägig amtsbekannt ist; und Kollege Hermann hat seine Meinung über die Verhältnisse unter Hitler & Co. ebenfalls schon zu oft geäußert, um bei der SS nicht auf der Verdächtigenliste zu stehen. Eigentlich sorgt nur ihre hervorragende Polizeiarbeit dafür, daß sie nicht spurlos verschwinden, sondern weiterhin zusammen schwierige Fälle übernehmen dürfen. Und obwohl die beiden einander nicht immer hundertprozentig vertrauen, wissen sie doch, daß sie sich stets aufeinander verlassen können.

"Salamander" beweist nicht nur, daß Janes hervorragend historisch recherchieren kann, sondern auch, daß er ein Gespür für spannende und tiefgründige Krimihandlungen hat, die denen des handelsüblichen Noir-Environments (Marke: nächtliche Neonstädte in den USA) um nichts nachstehen. Viel bedeutender als das alles ist aber die Tatsache, daß es dem Autor gelingt, einen Gestapo-Mann für den Leser sympathisch zu machen und dabei trotzdem nicht als Sympathisant irgendeiner politischen Ideologie dazustehen - außer vielleicht der, daß die Reichen und Mächtigen der wahre Abschaum dieser Erde sind, weil sie sich selbst mit den unmenschlichsten Regimes arrangieren. Aber das wußten wir eh schon...

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Über den Autor:
Joseph Robert Janes wurde 1936 in Toronto, Kanada geboren. Er war Mineningenieur und Geologe und unterrichtete Mathematik an der High School. Seit 1970 ist er freier Schriftsteller und lebt in Niagara-on-the-Lake in Ontario. Er schrieb bisher etwa 30 Bücher, darunter Jugendkrimis und Sachbücher über Geologie.