Normalerweise ermitteln in Krimis Polizisten und Detektive, gelegentlich auch neugierige Nachbarn, pensionierte Eisenbahner oder verrückte Schriftsteller. In "Und Friede ihrer Seele" übernimmt eine junge Reporterin diesen undankbaren Job.
Ins Ressort der Journalistin Olivia Hale fallen seit drei Monaten Morde und andere Gewalttaten - ziemlich ungewöhnlich für eine junge Frau, wie sie auch von Kollegen oft hören muß.
Olivia wohnt mit ihrer Freundin Hannah zusammen und hat einen Freund, der in der Musikbranche tätig ist. Sie ist noch nicht lange vom College weg, erinnert sich aber kaum mehr daran, was sie dort gelernt hat. Sie mag Joints, läßt sich beinahe zum Heroinkonsum überreden und hat scheinbar nur ein Interesse: daß ihre Berichte auf der Titelseite erscheinen.
Als die junge Allison Avery ermordet in einem Park gefunden wird, ist Olivia als erste zur Stelle; sie hat den Polizeifunk abgehört und war gerade in der Nähe. Das Mordopfer sieht Olivia sehr ähnlich, und die Reporterin läßt sich in der Folge ganz auf das Objekt ihrer Recherchen ein: sie sucht Allisons Lieblingslokale auf, trägt die pinkfarbene Perücke der Toten, gibt sich als Freundin der Verstorbenen aus und geht immer tiefer in der Rolle Allisons auf.
Olivia interviewt auch Allisons Eltern und den jüngeren Bruder Peter, der eine geheimnisvolle Faszination auf sie ausübt, sowie Allisons Kollegin und Freundin Angela Schultz, mit deren Hilfe sie im Apartment der Toten herumschnüffelt. Allison und Angela haben beide als medizinisch-technische Assistentinnen gearbeitet. Daneben hatte Allison das Ziel, als Sängerin in einer Rock´n´Roll-Band den Durchbruch zu schaffen.
All diese Recherchen finden ihren Niederschlag in Olivia Hales Notizbuch. Wörter wachsen in ihr wie Unkraut. Nicht die Mordopfer erscheinen in Olivias Träumen, sondern die Wörter, mit denen sie sie beschrieben hat.
Mehr und mehr verschwimmt die Grenze zwischen Olivia Hale und Allison Avery, und irgendwann löst sich auch das Rätsel, wer der Mörder ist (aber nicht durch die Reporterin, die nur dazu beigetragen hat, daß der Fall nicht aus den Medien verschwendet).
Am Anfang ist es etwas seltsam, einen Krimi in der Ich- und der Gegenwartsform zu lesen. Doch das Buch entwickelt bald einen solchen Drive, daß man es gar nicht mehr aus der Hand legen will. Interessant ist vor allem das Aufeinanderprallen von Olivias eigenen Ängsten vor einer Gewalttat mit der von einer Journalistin zu erwartenden Distanz zum Geschehen. Zudem führt die Einsicht ins amerikanische Kleinstadtleben zur Erkenntnis, daß die Welt voller Buxtehudes und Gramatneusiedls ist, wenn auch unter anderem Namen - und wenn der "King" nicht gewesen wäre, würde sich vielleicht auch niemand für Memphis interessieren.
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