Die Flut kommt

Myra Çakans Erstlingswerk "When The Music´s Over" beweist, daß auch deutschsprachige Autoren durchaus das Zeug dazu haben, sich mit dem internationalen SF-Markt anzulegen.

Mit guter Science Fiction ist es so eine Sache. Manchmal scheint es so, als wäre die Glanzzeit des Genres (dessen Höhepunkte fast alle aus dem angloamerikanischen Raum stammen) längst vorbei. Immerhin hat ja auch William Gibsons "Neuromancer" schon einige Jahre auf dem Buckel...

Unter SF verstehen die meisten heute "Star Trek" und "Star Wars". Jedes Kind weiß, wer die Borg sind oder daß Darth Vader der Papa von Luke und Leia ist. Dementsprechend beschränkt sich die Buchproduktion zu einem Großteil auf "literarische" Ableger und Spin-offs erfolgreicher Serien, Filme und Rollenspiele. Der Rest scheint sich in endlosen Fantasy-Vielteilern oder dem x-ten Aufgruß erfolgreicher Genre-Ideen zu erschöpfen.

Da freut man sich, wenn man wieder einmal eine lobenswerte Ausnahme entdeckt - wie z. B. Myra Çakan und ihr Erstlingswerk "When The Music´s Over". In diesem Roman (der übrigens im rasant herannahenden 21. Jahrhundert spielt) sind die Staaten und Kulturen unseres Planeten beinahe vollständig zu einer Einheit verwachsen, und auch die Bevölkerung besteht allerorten aus einem Gemisch verschiedenster Religionen und Kulturen. Eine klare Abgrenzung der Nationalitäten findet also kaum noch statt; selbst die verschiedenen Sprachen werden immer stärker zu einer einzigen vereinheitlicht.

Durch Umweltkatastrophen, Treibhauseffekt und radioaktive Verseuchung erscheint diese Welt immer menschenfeindlicher und dunkler. Ganze Landstriche sind Überflutungen zum Opfer gefallen, das World Wide Web ist längst Vergangenheit, und die Multis haben (Hand in Hand mit außerirdischen Invasoren) die Macht übernommen, um unsere gute alte Erde von ihren letzten Ressourcen zu befreien. Im Ausgleich dafür verabreichen die Aliens den Menschen Glücksdrogen, die sie von den wahren Problemen ablenken.

Hier beginnt die Geschichte der Grönländerin Skadi und des elternlosen Garfield. Auf ihrer Suche nach drogenloser Lebensfreude und dem ultimativen Kick begegnen sie dem begnadeten Hacker Wiesel, Sunshine, der Anführerin der Tunnelsoldaten, und anderen ebenso schillernden wie verkrachten Persönlichkeiten, die mit ihnen gemeinsam einen Teil ihres Kreuzzugs zurücklegen werden.

Obwohl "When The Music´s Over" auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, jemand versuche da, Autoren wie Jeff Noon ("Gelb") zu imitieren, entwickelt die Geschichte schnell eine immense Eigendynamik. Die drogengeschwängerten Dark-Future-Phantasien der Autorin zeichnen sich durch eine postapokalyptische Cyber-Romantik aus, die den Leser nicht so bald wieder losläßt.

Bleibt nur zu hoffen, daß es sich bei diesem Debütroman nicht um eine Eintagsfliege handelt, sondern Myra Çakan noch mehr eindrucksvoll-visionäre Phantasien dieser Art auf Lager hat.

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Über die Autorin:
Myra Çakan, ihres Zeichens Publizistin, verdient sich ihre Brötchen u. a. mit Drehbüchern, Hörspielen und Kurzgeschichten, lieferte aber auch journalistische Beiträge für "Die Woche" oder die "Süddeutsche Zeitung". "When The Music´s Over" ist der Romanerstling der in Hamburg lebenden Autorin.