Soziologische Strukturen, die zur Ausbildung einer Subkultur führen, sind selten so erstaunlich wie im Fall von Provinz-Skinheads. "Oi! Warning" ist ein hochinteressantes Fallbeispiel.
Weil er die Enge seines liebevollen, aber zutiefst verkorksten Elternhauses in der schwäbischen Provinz nicht mehr ertragen kann, setzt sich der pubertierende Mod Janosch (Sascha Backhaus) auf seine Lambretta und fährt nach Dortmund, um seinen älteren Kumpel Koma (Simon Goerts) ausfindig zu machen. Schnell hat er ihn gefunden, allerdings hat sich Koma verändert: Er hat keine Haare mehr, dafür umso mehr Muskeln; in seiner Wohnung prangen dutzende Pokale von Kickbox-Kämpfen, und im Bauch seiner Freundin Sandra (Sandra Borgmann) sprießen frische Kampfgenossen.
Janosch darf einstweilen im Kinderzimmer wohnen. Er kommt mit der Skin-Szene, ihren Oi!-Rufen, der aggressiven Musik, den Kampfstiefeln, Hosenträgern, Stulpenjeans etc. in Kontakt - und findet Gefallen daran. Und ritsch-ratsch verabschieden sich auch Janoschs Haare in die Abwasch. Nun ist er ein Baby-Skin. Das bringt Frauen, Saufgelage, Spaß, aber auch Gewalt und Drohgebärden.
In einem abgelegenen Steinbruch hortet Koma Sprengstoff und Waffen. Auch das beeindruckt Janosch. Doch langsam bekommt er ein ungutes Gefühl. Ist Koma vielleicht doch nur ein soziophatischer Verrückter? Als sich Janosch mit einem ungewaschenen Punk anfreundet und seine ersten homosexuellen Erfahrungen macht, wendet er sich von Koma ab. Das läßt dieser nicht auf sich sitzen - das Gefühl der betrogenen Freundschaft entfacht einen Ausbruch an Haß und Gewalt...
Das junge Regieduo - die Gebrüder Dominik und Benjamin Reding - hat mit seinem intensiven Schwarzweißfilm wahrhaft Großartiges vollbracht: eine Studie über die Skinhead-Subkultur, die nicht nur detailgetreu ist, sondern auch vielschichtig. Dabei geht es aber nicht nur um Haß und Gewalt, sondern um den Horror der Pubertät und Adoleszenz im allgemeinen. Die Sorgen und Ängste Heranwachsender, die Unterschiede in der Realitätswahrnehmung zwischen Frauen und Männern, die Ablenkung vom Alltag mit brachialen Mitteln, Gewaltbereitschaft, Neugier, Identitätssuche - all das wird in gekonnter Weise zum Ausdruck gebracht. Der Film fand große Beachtung beim internationalen Independent-Filmfestival in Sundance und hat eine Handvoll Preise eingefahren. Definitiv sehenswert.
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