Schon seit längerer Zeit entwickelt sich - von vielen unbemerkt - eine Strömung, der vor allem die "Neue Deutsche Elektronik" erfaßt hat. Der Mut zur einfachen Melodie hält allerorts in die Kompositionen Einzug.
Verts unvergleichliches "Nine Types of Ambiguity", Manuals "Until Tomorrow" oder Isans "Salle de" (siehe EVOLVER-Review), um nur einige zu nennen, stehen beispielhaft für einen Trend, der als "Neue Bescheidenheit" dem mitunter redundant und lieblos gewordenen elektronischen Genre neues Leben einhauchen will.
Die Frankfurter Minimalkünstler Sensorama alias Jörn E. Wuttke und Roman Flügel stellten schon mit Veröffentlichungen wie "Welcome Insel" und "Love" ihr musikalisches Können unter Beweis, doch mit dem brandneuen Album "Projektor" liefern sie ihr bislang unumstritten reifstes Werk ab.
Vielseitig eröffnet sich das Album beim ersten Probehören, vielgestaltig und eklektizistisch. Sensorama verarbeiten die Dance-Rhythmen der letzten zehn Jahre Track für Track: Vom notorischen "Four to the Floor" bis hin zum schnalzenden Electro-Beat, der selbst abgebrühte Godfather-Fans zum Wippen bringt, reicht der rhythmische Unterbau. Es gibt auch ein Wiederhören mit den inzwischen vertrauten "Clicks and Cuts", die in keiner zeitgemäßen Produktion fehlen dürfen.
Die darüberliegenden Akkorde/Melodien sind so locker-luftig-leicht, daß man auch gern sämtliche "Aber das ist doch Kitsch"-Argumente beiseite schiebt, um noch genauer zu hören, was da eigentlich vor sich geht. Um es auf den Punkt zu bringen: "Projektor" ist ein Album ganz im Stile des "Pop Artifizielle" (LB), hart an der Grenze zur Süßlichkeit. Die klimpernden Prä-Aphex-Sounds aber sind so zauberhaft, daß man sich nach jeder Nummer schon auf die nächste freut, was wirklich nur ganz selten der Fall ist.
Also: Es müssen besondere, wenige Ingredienzen sein - eine Handvoll Knusper-Beats, eine Messerspitze Akkorde (E-Baß und Gitarre), dazu die richtigen Obertöne: Glocken-Klaviere, Melodica und Flöten ohne Ende, alles liebevoll gemischt und zubereitet. Man merkt es spätestens nach der zweiten Nummer: Sensoramas "Projektor" ist ein weiterer Vorläufer der "neuen Bescheidenheit".
Verklungen sind quälende elektronische "Reaktor-Cut-up-Exzesse" (Otto von Schirach - "8000BC"), aus und vorbei antiquierter Industrial-Brachial-Noise à la Merzbow; der aufgeklärte, moderne Mensch darf sich endlich wieder auf seine Sensibilität berufen, um sich darin zurückzuziehen. Raus aus dem Alltagstrott, ein flüchtiger Moment der Klarheit, ein Fenster mit Aussicht.
Daß bei Sensorama auch noch ein kräftiger Schuß deutscher 70er-Psychedelik (von bösen angelsächsischen Kritikern "Krautrock" genannt) mitspielt, zeigt der Titel-Track "Projektor", ein flottes, 16tel-phrasiertes Hypnovehikel, das so stark an Neu! (siehe EVOLVER-Story) erinnert, daß sofort das spärliche Booklet zu Rate gezogen wurde, nur um sicherzustellen, daß da nicht möglicherweise auch der allgegenwärtige Klaus Dinger mitmischt.
Die 14 Tracks sind durch die Bank sehr gelungen, obwohl der eine oder andere Song nach vier bis fünf Mal Hören ausgereizt sein dürfte. Eine Nummer jedoch sollte man gleich überspringen: Der Song "It´s the thing", kommt zwar dem klassischen A-B(Refrain)-A-B-Popsong-Schema sehr nahe, wird aber durch Robert Forsters (Go-Betweens) unmögliche und unpassende Stimme nahezu unerträglich gemacht. Schade darum.
Ansonsten: Unbeschwerten Stunden im Büro, im Auto oder unter der Dusche steht mit dieser Scheibe nichts im Wege. Das Album ist auch garantiert freundinnenkompatibel ("Das ist aber nette Musik") und dauert recht lange fürs Geld: 68 Minuten.