Wo der "Event Horizon" endet, "Hellraiser" wie ein Ammenmärchen wirkt und der ewige Äther nie zur Ruhe kommt vom Widerhall gregorianischer Mönchsgesänge, dort heben Brian Williams´ düstere Sound-Gebirge an. Mit "Metavoid" versetzt Lustmord den Hörer in atemlose Begeisterung oder tödliche Depression.
Brian Williams steht in einer alten und langen Tradition professioneller Düstermänner. Allein sein Alter ego läßt uns schon richtig vermuten: Lustmord ist eines dieser typischen, meist deutschen Worte, die englische Industrial-Bands gerne verwendeten, um sich erstens exotisch und zweitens übertrieben hart zu geben. Da wundert es auch nicht, daß Mr. Williams tatsächlich aus dem Umfeld von Throbbing Gristle und SPK stammt.
Das mit den deutschen Begriffen schien eine Manie gewesen zu sein; heute - aus der Distanz betrachtet - wirken sie fast grotesk. Gut in Erinnerung geblieben sind etwa der Track "Zyklon B Zombie" (Throbbing Gristle) oder "Leichenschrei", ein Album von SPK, bei dem Brian Williams als Gastmusiker mitwirkte und so in Kontakt mit Graeme Revell kam.
Von "Leichenschrei" zu Lustmord war es also nur ein kleiner Schritt; trotzdem entstand so sein Markenname, den er bis heute eisern beibehalten hat. Eigentlich schade, denn der wunderbaren, sphärischen Musik, die er seit so vielen Jahren macht, wird dieses Pseudonym schon lange nicht mehr gerecht.
Ab 1985 leitete Williams sein eigenes Label Side Effects und arbeitete nebenbei als Musikkurator für Mute Records. In den USA traf er später wieder mit jenem Graeme Revell (Ex-SPK) zusammen, der in Bezug auf Hollywood-Soundtracks heute eine feste Größe darstellt. Es sollte nicht lange dauern, bis Revell seinen Kumpel aus alten Tagen fragen würde, ob er nicht auch ein paar Töne zu seinen Soundtracks beisteuern wolle. Diese Kollaboration erklärt auch die langen Pausen zwischen Lustmords Veröffentlichungen. Sein Genie für abgefahrenste "Spooky Sounds" war in den letzten Jahren bei nicht weniger als 30 Filmproduktionen gefragt, u. a. "The Crow", "Strange Days", "From Dusk Till Dawn", "The Insider", "Pitch Black" etc. - all diese Filme wären ohne Brian Williams´ Sound-Eskapaden wohl nur halb so interessant gewesen.
Und die Credit-Listen seiner eigenen Alben lesen sich wie ein "Who´s who" der experimentellen Düsterelektronik der letzten 20 Jahre. "Heresy" (1990) wurde in Andrew Lagovskis (SETI) Studio aufgenommen; "The Monstrous Soul" (1992) im Studio von Adi Newton (Clock DVA, Anti Group) eingespielt; "Stalker" (1995), eines der besten "Dark-Deep-Space-Alben" überhaupt, nahm er gemeinsam mit Robert Rich auf; und "Lustmord vs. Metalbeast" (1997), eine direkt auf DAT mitgeschnittene Liveradio-Improvisation mit Shad T. Scott von Isophlux Records, schließlich ist recht schwer zu bekommen, aber jede Anstrengung wert.
Sein aktuelles Album "Metavoid" bringt punkto Sound-Auswahl nichts wirklich Neues, jedoch ist der räumliche Panoramaeindruck noch intensiver geworden, die Atmosphäre zum Bersten dicht. Da einige der Stücke auch rhythmisch strukturiert sind (die Arbeit an "Lustmord vs. Metalbeast" hat offenbar ihre Spuren hinterlassen) ist das ganze Album leichter verdaulich als seine Vorgänger - oder auch nicht. Was geblieben ist, sind unendliche Hallräume, knisternde Tape-Recordings längst verstorbener Radioprediger, Streicherorgien in Moll und etwas, das man seit Jahren vermißt: der gregorianische Choral, der (um den psychoakustischen Gruseleffekt noch zu verstärken) in typischer Lustmord-Manier bis an den unteren Rand des menschlichen Wahrnehmungsbereichs downgepitcht wurde.
Vertraut-düstere Bass-Drones, Field-Recordings aus Katakomben und anderen Höhlen, deren Ursprung wir gar nicht wissen wollen; gepaart mit Lustmords schrägen Computer-Manipulationen (Sound Morphing) ergibt das einen Cocktail, der Neurasthenikern nicht zu empfehlen ist. Abermals öffnen sich die Tore zur Hölle, laden uns ein auf einen Trip in unser allerinnerstes Dunkel, der Kosmos atmet ein und speit unverdaute Reste einer alten, gestorbenen Welt aus. Die Meridiane schwarzer, in der Ewigkeit versunkener, Planeten zerfallen und langsam, ganz langsam beginnt das Licht zu schwinden.
"Metavoid" sei also Lustmord-Jüngern wie Novizen empfohlen - und dazu allen, die New Age zum Kotzen finden. Für die Freunde des Dark-Ambient-Genres ist das Album ein Muß; auch wer gern Soundtracks mag, wird hier voll auf seine/ihre Rechung kommen.
Wie es der Zufall will, wurden auch viele ältere Lustmord-CDs wiederaufgelegt und sind im gut sortierten Fachhandel erhältlich. Ganz besonders ans Herz gelegt sei - weil hierzulande gänzlich untergegangen - "Arecibo" (1994), ein Geheimtip der Extraklasse.