1997 hatten sich Radiohead mit "OK Computer" endgültig als Referenzmodell für schwermütigen, leidenden Indie-Rock etabliert. Im Jahr 2000 warfen sie all dies mit "Kid A" über Bord - und gewannen dennoch. Diesmal folgte ihnen niemand. Das wird auch nach "Amnesiac" so bleiben. Radiohead sind mittlerweile so gut, daß man sie nicht mal mehr schlecht kopieren kann.
Das wird wohl nichts mehr. Da können noch so oft die Radiohead "alten Stils" eingefordert werden, den "herrlich heulenden Alternative-Sound" (siehe "Kid A"-Rezension im EVOLVER) besorgen längst andere, wenn er auch zu oft nur als jämmerlich-wimmerndes Epigonentum (JJ 72, der Rock-Beelzebub soll euch holen) in Erscheinung tritt.
Anfänglich stieß "Kid A" viele vor den Kopf. Es gab keine Singles und keine Videos. Radiohead hatten sich lustige Gerätschaften in den Proberaum gestellt, Minimal-Elektronik, Krautrock und Jazz aufgesogen und tradierte Songstrukturen beiseite geschoben. Das Ergebnis war dann wie von selbst Platz 1 in den US-Albumcharts. Die Anhänger der "alten" Radiohead wurden auf die angeblich rockigeren "Outtakes" vertröstet.
Ist "Amnesiac" nun der Rock-Appendix von "Kid A"? Mitnichten, es ist eher ein Album der Gegensätze. "Packt like sardines in a crushd tin box", ein minimales, spröde dahinpluckerndes Stück, erinnert eher an Konsorten wie To Rococo Rot oder Pole; die opulent arrangierte Single "Pyramid Song" ist eine bittersüße Symphonie mit verzwickt-vertracktem Rhythmus; "Pulk/Pull Revolving Doors" düsterer, baßlastiger Elektro-Dub; "You and Whose Army?" beinahe ein klassischer Popsong; und das abschließende "Life in a Glasshouse" ein Trauermarsch direkt aus den Sümpfen von New Orleans.
Wie ein "Amnesiac" (also ein an Gedächtnisschwund leidender) fühlt man sich auch hier bei den ersten Hörversuchen. Unweigerlich kippt man dann aber hinein in den emotionalen Strudel, in schaurig-schöne Gefühlswelten, die eben nur Radiohead so erschaffen können. Dann ist man endgültig verloren, und zwar im wunderbarsten Sinn des Wortes.
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