Ist die Liebe ein kleines schmutziges Etwas oder eine große Sache? Ziemlich komplex, aber nicht ganz gelungen verhandelt Patrice Chéreau Lebens- und Beziehungskrisen von 40jährigen und präsentiert hart gezeichnete Kläglichkeiten um Sex, Nähe und Einsamkeit.
Es ist der Bruch eines der letzten Tabus im "normalen" Kino, den französische Filme, allen voran Catherine Breillats "Romance", in jüngster Zeit vorexerzierten: die Darstellung von Sex in reichlich expliziter, pornographischer Form. Allerdings begräbt bereits "Intimacy" die Provokation und gleichzeitig etwaige voyeuristische Erwartungshaltungen des p. t. Publikums: Patrice Chéreau schildert den sexuellen Akt in einer bisher nicht gesehenen Normalität, die ausnahmsweise auch viel von der hilflosen Erbärmlichkeit und Kläglichkeit zweier Körper auf teils beklemmende Weise einfängt. Der englische Schriftsteller Hanif Kureishi lieferte die Vorlage für die stark um Realismus bemühte, etwas trostlose Geschichte.
Jay (Mark Rylance), Anfang 40, hat grundlos seine Frau und zwei Kinder verlassen und führt als Barkeeper ein sinnentleertes, von Erinnerungen an früher durchzogenes Leben, hart am Rande des Abstiegs - bis plötzlich eine fremde Frau (Kerry Fox) auftaucht und mit ihm wortlosen Sex hat. Daraus entspinnt sich ein wöchentliches, verschwitztes Ritual: anonym, stumm und aufregend. Irgendwann macht Jay jedoch die Erfahrung, daß man sich allein zwar einsam fühlen mag, aber noch einsamer ist, wenn man auf jemanden - noch dazu unbekannten - zu warten beginnt. Jay durchbricht wider besseres Wissen die stille Übereinkunft und macht sich auf die Suche nach Claires wahrer Identität, wobei er in ihre reale Existenz eindringt. Die spielt sich auf recht unglamouröse Weise in tristen Londoner Vororten, den Hinterzimmern verrauchter Pubs und unerreichbaren Träumen ab. Bei jedem Schritt, der Jay näher an die Wahrheit bringt, fällt das Verhältnis weiter auseinander. Und dieses bildet, so wird klar, für beide eine Art Rettungsanker aus ihrer Realität.
Die dahinter stehende Verzweiflung ist letztlich das einzige, was beide verbindet (und der angestrengte Versuch, mit allen Mitteln daraus auszubrechen). Nähe und Intimität - ein vages Begehren und trotz London ein sehr französisches Thema. Obwohl Patrice Chéreau, der sich hier stilistisch meilenweit von der Opulenz seines Historienschockers "Die Bartholomäusnacht" befindet, sehr glaubhafte, berührende Momente von Authenzität gelingen, verhindert unnötiges Beiwerk, daß man sich wirklich in diese Bestandsaufnahme um Einsamkeiten und Beziehungen fallen lassen kann: Zu theaterhaft inszenierte Sequenzen und Dialoge, nicht nachvollziehbare Szenen und Figuren stören hier ganz gewaltig und lassen den Film in lose Teile und Belanglosigkeiten auseinanderfallen oder stellenweise in sich selbst verschwinden. Trotzdem ist "Intimacy" sehenswert - nicht zuletzt aufgrund der Darsteller (wobei auch Marianne Faithfull als alternde Laienschauspielerin überzeugt) und einer passenden, leicht existentialistischen Musikauswahl von den Tindersticks, The Clash, David Bowie und Nick Cave.
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