Stabbing Westward haben mit ihren letzten beiden Alben Meilensteine der Art von Musik abgelegt, bei der analoge (harte Gitarren, weicher Gesang, rockiges Schlagzeug) mit kalten, elektronischen Sounds hervorragend koexistieren. Danach sehnt man sich beim neuen Album vergeblich.
Vor zwei Jahren befanden sich Stabbing Westward auf einer Erfolgswelle: Mit "Haunted", "Save Yourself" und "Sometimes It Hurts" enterten alle drei Singles ihres Erfolgsalbums "Darkest Days" die amerikanischen Billboard-Charts, und Front-Beau Chris Hall durfte sogar für "Playgirl" posieren. In Europa blieb ihnen der Erfolg verwehrt, während sie in den USA nach den Nine Inch Nails die erfolgreichste Band des Genres wurden und über 1,5 Millionen Alben verkauften.
Erheblichen Anteil am Durchbruch der Musiker aus Chicago hatte neben dem damaligen Produzenten John Fryer auch der junge Gitarrist Marc Eliopulos, der 1998 nach einem Vorspielen im Probekeller und mit gerade einmal siebzehn Jahren als glühender Fan der Frühwerke von Stabbing Westward ausgewählt wurde. So konnte man nichts Gutes erwarten, als vor einem Jahr zwei Meldungen bekannt wurden: Die Band trennte sich von Columbia Records, und Eliopulos stieg aus. Das Ergebnis der letztjährigen Aufnahme-Session kann man auf ihrem neuen, nunmehr vierten Album "Stabbing Westward" hören.
Daß eine Band ihr viertes Album nach sich selbst benennt, kann nur heißen, daß sie sich bald auflösen wird oder glaubt, sich neu erfunden zu haben. Letzteres ist bei "Stabbing Westward" offenbar geschehen. Zahnlos, meist im Mid-Tempo und absolut radiotauglich kommen zehn Songs daher, die ihre neue Plattenfirma ("The Major Independent") Koch Records erfreuen werden. Mindestens fünf potentielle Singles hat die Band abgeliefert - und am wenigsten mußte sich dafür Sänger Chris Hall verbiegen. Sein melancholisch-melodiöser Gesang ist unverändert geblieben, und seine Texte handeln immer noch von nichts anderem als Beziehungskrisen. Jene Dynamik, die Stabbing Westward auf vorherigen Alben zu einer unverzichtbaren Band gemacht hat - der Kontrast aus reinen, schönen Passagen und konsequentem Krach - ist zugunsten eines hohen Schmusefaktors verloren gegangen.
Mit Schrecken kann man sich Szenarien in europäischen Plattenläden vorstellen, bei denen neue Verehrer von Stabbing Westward auch die Vorgängeralben studieren und erschreckt zurückweichen. Nicht, daß einige Songs ihres neuen Albums nicht sehr nett anzuhören wären; die Band hat beim Songwriting Souveränität dazugewonnen und kommt rein klanglich heutzutage besser auf den Punkt. Letztendlich wirkt das alles aber sehr beliebig.
Gestandene Fans von Stabbing Westward werden sich das Album vermutlich schon gekauft haben, und es ist zu erwarten, daß bei entsprechender Promotion demnächst jede Menge neue hinzukommen werden. Songs wie "I Remember" oder "Happy" empfehlen sich direkt fürs Airplay im Radio. Die drei etwas härteren und schnelleren Lieder ("High", "Wasted" und "So Far Away") wurden vorsichtshalber von der Plattenfirma auf die Promo-Sampler der einschlägigen Spartenmagazine verfrachtet, um den Schein zu wahren. Das letzte Mal konnte man Stabbing Westward in Europa im Vorprogramm von White Zombie sehen; nächstes Mal wird es dann wohl ein HIM-Support. Schade.
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