Ein Fall für Lino

Ulf Miehe wollte Monsieur Ventura für die Verfilmung seines Krimis "Puma", doch der französische Kinostar lehnte aus "Geschmacksgründen" ab. Da bleibt dem Leser wohl nichts anderes übrig, als die Phantasie spielen zu lassen.

"Puma" atmet den Geist der siebziger Jahre - damals, als sich Deutschland gerade auf seinen entlarvenden Herbst vorbereitete, als in Frankreich hin und wieder ganz coole Filme entstanden, und als man noch Bob Dylan zitieren durfte, ohne als hoffnungslos rückständiger Depp zu gelten.

Zwar ist das Seventies-Revival heute längst einer irregeleiteten 80er-Jahre-Nostalgie gewichen, aber mit solchen Überlegungen hat die Neuveröffentlichung von Ulf Miehes Kriminalroman "Puma" ohnehin nichts zu tun. Sie soll viel eher zeigen, daß es in Deutschland auch vor einem Vierteljahrhundert, als die "sozialkritische" Innerlichkeits-Faselei einen ersten Höhepunkt erreichte und Punk gerade vor der Tür stand, bereits gute und anspruchsvolle Unterhaltungsliteratur gab. Und sie demonstriert, daß die Herausgeber der Krimi-Taschenbuchreihe "DuMont Noir" ganz genau wissen, was sie tun - wenn sie auch von ihrem Verlag werbe- und promotionmäßig viel zu wenig unterstützt werden. (Das soll heißen, daß Sie die meist mit hervorragenden Materialien versehenen Bücher dieser Serie trotzdem unbesehen kaufen können. Und zwar alle.)

Aber jetzt zum Roman des frühverstorbenen Filmregisseurs und Autors Ulf Miehe: Der "Puma" aus dem Titel ist ein elsäßischer Berufsverbrecher, der zu Beginn des Buches nach neunjähriger Haftstrafe aus einem französischen Gefängnis entlassen wird. Sitzen mußte er wegen eines blutig ausgegangenen Banküberfalls - und weil er seine Komplizen nicht verpfeifen wollte. Die sollten ihm jetzt eigentlich seinen Anteil von damals ausbezahlen, aber der eine ist mittlerweile ein hoffnungsloser Junkie, und der andere hat sich mit dem Geld in den internationalen Drogenhandel eingekauft.

Doch für Rache hat der Puma keine Zeit. Der alternde Gangster hat sich schon in der Zelle einen Plan ausgedacht, der ihm seinen Lebensabend finanziell sichern soll. Er beschafft sich also Dokumente, Geld und einen fahrbaren Untersatz, reist nach München, mietet dort eine Villa und engagiert über seine alten Unterweltkontakte einen Killer aus New York und einen englischen Fahrer. Dann bereitet er sich auf den größten Coup seines Lebens vor: das Kidnapping von Billie Kammerloh, der Tochter eines schwerreichen Waffenproduzenten mit besten politischen Kontakten.

Die Entführung klappt perfekt, doch die anschließende Warterei auf die Lösegeldmillionen droht zur Zerreißprobe für die Nerven aller Beteiligten zu werden. Es stellt sich nämlich heraus, daß Papa Kammerloh ein absolut korruptes, unmoralisches und gefühlloses Schwein ist (was erwarten Sie denn von einem Kapitalisten?), der von seiner Tochter gehaßt wird - und daher glaubt, sie habe die Show selbst inszeniert, um früher an ihr Erbe zu kommen. Die psychologischen Spannungen zwischen den Kidnappern, ein oder zwei überraschende Liebesgeschichten, ein schmieriger Privatermittler und ein gehörnter Ehemann tun das ihre dazu, die Angelegenheit zu komplizieren. Und so kommt alles, wie es kommen muß...

Wie die Geschichte weitergeht, sei hier nicht verraten; dazu ist sie viel zu spannend. Daß der Roman erstaunlich modern ist (ohne allerdings in kindische Tarantino-Exzesse zu verfallen) und Franz Morgenroth tatsächlich auf jeder Buchseite an Ulf Miehes Verfilmungs-Wunschkandidaten Lino Ventura erinnert, sollte als Anreiz zum Lesen reichen - denn einen überzeugenderen Roman über Profikriminelle und ihre nur scheinbar "anständigen" Opfer wird man im deutschen Sprachraum wohl nicht so schnell finden.

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Über den Autor:
Der 1989 verstorbene Ulf Miehe debütierte 1973 im Thrillergenre mit dem verfilmten Roman "Ich hab noch einen Toten in Berlin", der Bob Dylan gewidmet war. Als Regisseur drehte er u. a. die Theodor-Storm-Adaption "John Glückstadt", für die er einen Bundesfilmpreis erhielt.