Der Mann mit den zwei Gesichtern

Nach dem Zweiten Weltkrieg war sich die Kritik einig in der Verdammung Veit Harlans; für eine differenziertere Betrachtungsweise war da kein Platz. Erst seit kurzem beginnt man, sich den verfemten Nazi-Regisseuren wieder zuzuwenden, und entdeckt die künstlerischen Qualitäten und komplexen Persönlichkeiten von Filmemachern wie Leni Riefenstahl und - wie im vorliegenden Buch, "Des Teufels Regisseur" - Veit Harlan.

Biographien haben immer etwas Bedrückendes: sie enden unweigerlich mit einem Tod. Besonders bedrückend ist es, wenn dem Tod ein mehr oder weniger verpatztes Leben vorangegangen ist. Veit Harlan ist 1964 gestorben. Vor zwei Jahren hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert, ein Jubiläum, das stillschweigend übergangen wurde. Auch der kürzliche Tod seiner dritten Ehefrau Kristina Söderbaum (die sogenannte "Reichswasserleiche", da Harlan sie in einigen Produktionen ins Wasser gehen ließ), die in den meisten seiner Filme mitspielte, war den Tageszeitungen nicht mehr als eine Fußnote wert. Es gibt Menschen, die man zu vergessen versucht: Veit Harlan gehört unzweifelhaft dazu.

"Ein junger, äußerst witziger Schauspieler, politisch links, philosemitisch und sehr amüsant", so beschrieb Fritz Kortner den späteren Nazi-Regisseur in seinen Erinnerungen. Man stutzt zunächst. Ist das wirklich derselbe Mann? Eine Bemerkung Harald Juhnkes gibt hier vielleicht Aufschluß: "Mir erschien Harlan als ein besessener Filmemacher, der genauso unter Stalin oder Idi Amin hätte arbeiten können wie unter Goebbels." Ein Besessener und unzweifelhaft ein Karrierist. Jahrzehntelang plagt er sich als Ensemblemitglied an diversen deutschen Theatern. Dabei zieht es den talentierten Mimen von Anfang an zum Film. Zwar sind die Kritiker wohlwollend, dennoch will eine Filmkarriere nicht so recht ins Rollen kommen. Zumeist spielt er Nebenrollen, und tragende Rollen verwirklichen sich nur in unbedeutenden Filmen.

Tragischerweise beginnt der Stern des Veit Harlan erst mit der Machtübernahme der Nazis aufzugehen. Nicht ganz zufällig - immerhin bekennt sich der nunmehrige Regisseur (nach seinem Debüt mit "Krach im Hinterhaus" von 1935) in einem Interview mit dem "Völkischen Beobachter" ausdrücklich zum NS-Regime und zu dessen Ideologie. Schon bald entdeckt Joseph Goebbels sein Talent, womit der steile Aufstieg beginnt. Harlan dreht die wichtigsten und teuersten Propagandafilme des Dritten Reichs. Er war - wie Frank Noack bemerkt - "der Regisseur, der Goebbels selbst gerne gewesen wäre". Man darf nicht vergessen, daß es sich bei Filmen wie "Jud Süss", der die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" rechtfertigen und propagandistisch untermauern sollte, und dem Durchhalte-Epos "Kolberg" von 1945, der zum damaligen Zeitpunkt teuersten Produktion der deutschen Filmgeschichte, um Auftragswerke handelte.

Frank Noack bietet dem Leser eine Unmenge Material über Veit Harlan an. Aber die zahlreichen Auszüge aus Kritiken, selbst zu Theaterproduktionen, in denen Harlan nur eine Nebenrolle verkörperte, ermüden ein wenig. Was dabei zu kurz kommt, ist die psychologische Seite. Leider bleibt die Frage, wie ein Mann, der mit einer Jüdin verheiratet war und viele Juden zu seinen Freunden zählte, die Konzentrationslager filmisch rechtfertigen konnte, unbeantwortet.

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Über den Autor:
Frank Noack wurde 1961 in Berlin geboren. Nach einem Studium der Anglistik und Germanistik arbeitete er als Film-, Theater- und Opernkomparse sowie als freier Journalist ("Tagesspiegel", "CineGraph") und Drehbuchlektor. An diversen Publikationen zur Filmgeschichte beteiligte er sich ebenfalls (u. a. über Zarah Leander und Marianne Sägebrecht).