Der Planet Pop bringt gar merkwürdige Erscheinungen zutage. Diesmal sind es Murdoc, Noodle, Russel und 2D alias Gorillaz, die erste Cartoon-Popband der Welt. Und die ist nicht nur aufgrund ihrer Videos interessant, sondern hat auch musikalisch einiges an Substanz zu bieten.
Die Gorillaz sind der aktuelle Hype dieses Frühlings - ein Kunstprojekt aus der Feder des "Tank Girl"-Schöpfers Jamie Hewlett, der die Band sozusagen "erfunden" hat. Natürlich stehen hinter der Musik der gezeichneten Pop-Helden auch Menschen aus Fleisch und Blut - und noch dazu alles andere als Unbekannte: Damon Albarn von Blur, der HipHop-Produzent Dan "The Automator" Nakamura, US-Rapper Del tha Funkee Homosapien, Ex-Talking-Heads-Bassistin Tina Frantz und Miho Hatori, die Sängerin des New Yorker Avantgarde-Pop-Duos Cibo Matto. Auf einem Track gastiert sogar Buena-Vista-Legende Ibrahim Ferrer. Sie alle haben ihre individuellen Styles in einen Topf geworfen, um daraus ein ganz eigenes Süppchen aus dreckigen Beats, melancholischen Gitarren- und Harmonika-Sounds sowie dubbigen Basslines zu brauen; einen geschmackvollen Nu-Frontierz/No-Lounge-Crossover, der in dieser Form momentan ganz weit draußen steht.
Die Werbung für das Album der Zeichentrick-Combo wurde in England von einer präzise getimeten Titelstory in "Dazed & Confused" (inklusive gefaketer Interviews) und einer clever arrangierten Liveshow in London begleitet, wo die (echten) Musiker nur als Silhouetten hinter einer Leinwand zu erkennen waren, während Gorillaz-Animationen projiziert wurden. So schaffen sich also heutzutage etablierte Musiker ihren Freiraum, um mehr oder weniger anonym ihrem Drang nach neuen musikalischen Ausdrucksformen nachzukommen. Glücklicherweise klingt die Musik der Gorillaz viel weniger künstlich, als die Inszenierung dies vermuten lassen könnte. Und der Begriff "artifizielle Band" (von dem ich dachte, er sei für all die zusammengecasteten Girl- und Boygroups reserviert) bekommt noch einmal einen neuen Twist - diesmal wenigstens einen amüsanten. Denn wer je eines ihrer grandiosen Videos gesehen hat, kann sich dem Charme dieser Band nur schwer entziehen. Auch ein Besuch im Internet-Hauptquartier der Gorillaz lohnt sich durchaus.
Tja, Realität ist letzten Endes auch nur ein Konstrukt.
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