Der echte, wahre Country ist - im Gegensatz zum einlullenden Top-Ten-Geseiere von Garth Brooks & Co.- eine unerbittliche, finstere, ergreifende Angelegenheit. Und Johnny Cash ist der Hohepriester in dieser schroffen, felsigen Landschaft. Welcome to Cowboy-noir…
Ja, ja, Country. Mittlerweile sollte man sich den Hinweis, daß das erfolgreichste Musikgenre der Welt mehr zu bieten hat als bodenlose Geschmacksabgründe und Muzak für die Shopping-malls und Müllhalden von "God´s own country", eigentlich ersparen können. Weil aber ständig neue Horden geschichts- und ahnungsloser Menschen aus irgendeinem Nest zu schlüpfen scheinen, sei es hier noch mal gesagt: Vergeßt alle kindischen Neo-Punk/Kreuzüber/Hartkern-Milchgesichter - der wahre Hardcore trägt Stetson und Stiefel.
Wobei hier dezidiert nicht vom sogenannten "Alternative Country" die Rede ist, einem Subgenre, das (neben grandiosen Ausnahmen wie Calexico) für eine gräßliche Verirrung steht: Cowboys- and -girls mit Indie-Diplom und Universitätsabschluß. Guter, echter Country ist der Blues der working class: reaktionär, aber dafür berührend und echt.
This is the sound vom Leben zerrütteter Pendler, sentimentaler Trucker, frustrierter Bauarbeiter, Feierabendexzessler und Von-besseren-Zeiten-Träumender. Die Musik für Frauen, die sehnsüchtig aus dem Fenster auf den Highway starren, wo der Mann gerade unterwegs ist, während im Nebenraum drei Kinder schreien und der Fernseher plärrt. Die Musik für Männer, die alles falschmachen in ihrem kleinen, mickrigen Leben und deswegen selbstmitleidig ins (achte oder neunte) Bier weinen. Eine PC- , ironie- und studentenfreie Zone, wo gehackelt, gesoffen, geprügelt, getötet und anschließend um Erlösung gebeten wird.
Der echte, wahre Country ist - im Gegensatz zum einlullenden Hitparadendreck von Garth Brooks & Co.- eine felsige, schroffe, unerbittliche Landschaft. "Sie war kalt und böse, und das ließ mich zu meiner Maschinenpistole greifen. Hätte ich die süße Deliah nicht erschossen, sie wäre glatt meine Frau geworden", singt einer der letzten großen Heiligen des Cowboy-noir in seiner fröstelnden Ballade "Delia´s Gone". Die Rede ist natürlich von Johnny Cash, der 1993 mit diesem Killertrack (sic) seinen Comeback-Meilenstein "American Recordings" einleitete. Rick Rubin, Kopf des gleichnamigen Labels und Mischpultlegende, hatte damals den "Man In Black" aus dem Sumpf aalglatter Studiomusiker und der schleimigen Arrangements des "zeitgemäßen" Nashville-Country gezogen und zurück zu seinen ergreifenden Roots gedrängt.
"Unchained", ein weiteres Cash/Rubin-Album, folgte 1996, und jetzt stellte der - leider schwer erkrankte - Meister eine dreiteilige CD-Werkschau für American Recordings zusammen, inklusive der armen, ermordeten Delia. "Love God Murder" präsentiert Johnny Cash mit all seinen essentiellen Widersprüchen: der liebende Ehemann und Familienvater, der gläubige, gottesfürchtige Katholik und der von Drogen und Alkohol gejagte Outlaw, der so manche Nacht im Gefängnis verbrachte und, obwohl Country-Ikone, vehement gegen den Vietnamkrieg protestierte.
Highlights herauszuheben ist hier fast unmöglich, aber "I Tremble For You" ("Love") kann im richtigen Moment Tränenstürze auslösen; "Redemption" ("God") zwingt selbst eingefleischte Sünder zur Bibellektüre; und "The Wall" ("Murder") bringt jeden Gangsta-Rapper zum Zähneklappern.
Ach ja, die drei CDs klingen perfekt und warm neu gemastert, und das Cover-Artwork möchte man sich am liebsten sofort auf den Oberarm tätowieren lassen. Nicht gebraucht hätte ich natürlich die Linernotes von Bono und Quentin Tarantino, obwohl fairerweise gesagt werden muß, daß beide (der U2-Wastl äußert sich zur Religion, der Trash-Postmodernist, no na, zum Thema Mord) gar nicht sooo schlecht geschrieben sind.
Nach unzähligen lieblosen Cash-Compilations ist diese 3-CD-Box eine Pflichtanschaffung, die uns bis zum demnächst erscheinenden und hoffentlich nicht letzten Studioalbum von Johnny Cash tröstet. Beten wir für den Man In Black, und freuen wir uns auf seine Coverversion von Nick Caves "The Mercy Seat"…