Schon seit über vier Jahren läßt Maynard James Keenan, charismatischer Sänger der Gruppe Tool, seine Fans auf ein neues Album warten; angeblich soll es Mitte nächsten Jahres endlich soweit sein. Das hervorragende Debütalbum seines Nebenprojekts A Perfect Circle ist allerdings jetzt schon zu haben.
Als Tool bei den Aufnahmen zu ihrem letzten Album "Aenima" Studiozeit übrig hatten, nutzten sie diese, um mit Billy Howerdel zu experimentieren. Besagter arbeitete bisher eher außerhalb des Rampenlichts, genauer gesagt als Gitarrentechniker für Nine Inch Nails, Smashing Pumpkins oder auch Tool, feilte aber jahrelang nebenbei an seiner eigenen Musik. Als er Maynard James Keenan sein unfertiges Material, das eigentlich für Soundtracks gedacht war, vorspielte, war dieser dermaßen davon begeistert, daß er sofort seine Mitarbeit anbot. Die restlichen Bandmitglieder - als Gitarrist Ex-Failure-Mitglied Troy van Leeuwen, Paz Lechantin am Baß und Josh Freese von den Vandals am Schlagzeug - waren bald gefunden, und eine Textzeile aus dem Song "Orestes" wurde als Bandname auserkoren. A Perfect Circle waren geboren.
Wie erwartet, versammeln Keenan und Howerdel Musiker um sich, die ihr Handwerk verstehen - so kann "Mer De Noms" auf knapp 45 Minuten fast durchgehend begeistern. Eine Ähnlichkeit zu Tool ist unter anderem durch den prägnanten Gesangsstil von Keenan unvermeidlich; trotzdem versucht er Vergleichen seiner beiden Bands aus dem Weg zu gehen. Wahrscheinlich um ein wenig von den offensichtlichen Parallelen der Projekte abzulenken, trägt der ansonsten kahlgeschorene Sänger bei A Perfect Circle eine Langhaarperücke; eigenartig ist auch, daß in Interviews der Name Tool nicht einmal erwähnt werden darf. Nichtsdestotrotz, Tool waren und sind gut, und A Perfect Circle klingen ähnlich. Was sie aber aus der Masse heraushebt und auszeichnet, ist die mystische Stimmung, in die sich die Band verstrickt. Mehrere Stücke des Albums sind mit Namen betitelt und nehmen sowohl auf real existierende Personen als auch auf Helden aus der Mythologie Bezug. Darunter sind z. B. biblische Charaktere wie Thomas, ein Jünger Jesu, der einen Beweis für dessen Wiederauferstehung fordert; Judith, die zum Wohle des Volkes einen General enthauptet; aber auch die Antike ist mit Orestes, der durch Ermordung der eigenen Mutter den Tod des Vaters rächt, vertreten.
Die einzelnen Nummern wechseln meist nach einer offenen, freundlichen, fast schon zerbrechlich wirkenden Stimmung urplötzlich in eine kraftvolle Atmosphäre, in der gewaltige, progressive Riffs kurzzeitig dominieren, behalten trotzdem aber eine vordergründig nicht offensichtliche, sehr wohl aber durchgängige Melodie bei. Besonders gut gelungen ist das bei der ersten Single-Auskopplung "Judith", aber auch "3 Libras" oder "Thinking Of You" lassen Erinnerungen an die Artrockband King Crimson wach werden. "Judith" brachte den fünf kreativen Köpfen übrigens schon vor Release des Albums mehrere Festival-Auftritte, eine Tour als Vorgruppe der Nine Inch Nails sowie David Fincher ("Fight Club", "Sieben") als Regisseur für das Video ein.
Schon mit ihrem Debüt schrieben A Perfect Circle Geschichte: Platz vier der Billboard Top 100 in der ersten Woche ist der bisher höchste Chart-Einstieg eines Debütalbums. Bleibt nur zu hoffen, daß es mit A Perfect Circle so rasant weitergeht. Wenn sie weiterhin solche Alben aufnehmen, dürfte das allerdings kein allzu großes Problem werden.