David Finchers exzessive Testosteron-Parabel "Fight Club" mag inhaltlich umstritten sein: die formalen Qualitäten des Streifens mußte im Vorjahr auch der schärfste Kritiker eingestehen. Nun katapultiert der letzte große Innovator im Mainstream-Kino auch das Medium DVD endlich ins 21. Jahrhundert…
In diesem Magazin das Medium DVD zu lobpreisen, das wäre so, als wollte man Henry Rollins von den Vorzügen der Körperertüchtigung erzählen - oder Angelina Jolie vom irre neuen Tattoo-Trend berichten. Sowohl unter EVOLVER-Schreibern als auch -Lesern wimmelt es von Menschen, die längst eine hingebungsvolle Liebe zu den kleinen, silbernen Scheiben entwickelt haben.
Eine DVD-Veröffentlichung wie diese gab es allerdings noch nie. Aufwendigst verpackt, besticht die US-Ausgabe von "Fight Club" neben brillantem Bild und Ton (gar nicht immer selbstverständlich) und diversen Audiokommentarspuren mit einer Bonus-Disc, die bis zum Anschlag mit Material gefüllt ist. Da wimmelt es vor "Hinter den Kulissen"-Dokus, die man mit der Angle-Taste auf der Fernbedienung (ja, die gibt es) sogar beliebig kombinieren kann (links die Location-Suche, rechts den Dreh, in der Mitte die fertige Szene!), Storyboards, Internet-Spots, weggeschnittenen Szenen und witzigen Outtakes.
Wen die Fülle an Material erstmal erschlägt, der braucht nicht in Panik zu geraten. It takes time. Und wer, wie ein verblödeter "FACE"-Schreiber (am Beispiel der "Matrix"-DVD) vor lauter Gimmicks und Extras den Film selbst verschwinden sieht, der hat gar nichts kapiert. Fincher hat den Bonus-Silberling natürlich für Fans beigelegt, die seinen Streifen ohnehin schon x-mal konsumiert haben… Glücklicherweise macht dieses Beispiel Schule; demnächst werden Regisseure wie James Cameron (mit der ultimativen "T2"-Fassung) und Paul Thomas Anderson ("Boogie Nights" und "Magnolia" inklusive Bonus-Disc) mit aufwendigen Editionen folgen.
Traurig nur, daß Filmfreaks hierzulande diese gewaltige Entwicklung des Mediums nur am Rande mitbekommen. Die mies bis gar nicht mit Features bestückten DVDs – siehe "Fight Club"! - in deutschsprachigen Landen sind ein einziges Trauerspiel. Tyler Durden sagt: Boykottiert alle europäisch geeichten Code-2-only-Player! Nieder mit den häßlich verpackten, lieblosen deutschen Fassungen! Wehrt euch gegen das geplante Einfuhrverbot für US-Importe!
Womit endlich der Übergang zum Inhalt dieser Deluxe-Edition geschafft wäre: In Wirklichkeit würde Tyler Durden (Brad Pitt), "Fight Club"-Erfinder und Prolo-Anarchist extraordinnaire, solche Zeilen natürlich keineswegs in den Mund nehmen. Scheißt der Mann doch grundsätzlich auf konsum-fetischistische Empfehlungen jeder Art. Das wäre höchstens was für den namenlosen Yuppie-Erzähler des Films (Edward Norton), der mit den allerneuesten DVDs seine schlaflosen Nächte bekämpfen könnte. Sein Freund Tyler würde ihm dann erklären, das es sich bloß um eine weitere Erfindung des Systems handelt, um Menschen ruhigzustellen und die Maschine des Kapitalismus am Laufen zu halten. Schmeiß den Zivilisationsdreck weg und beginne dich wieder selbst zu fühlen, Mann! This is your life!
Durden/Pitt, dieses Kondensat aus anarchistischem Sozialrevolutionär (auf tiefstem Punkrock-Niveau) und faschistisch angehauchtem Gruppenführer, ewig potentem Männermagazin-Macho und beinhartem Konsumkritiker (dennoch stets im neuesten Prolo-Chic), dieser US-Zlatko als muskelbepacktes Model, genetisch mit Andreas Baader und Che Guevara kombiniert, trieb die (liberalen) Rezensenten am meisten zur Weißglut, als "Fight Club" im Vorjahr in den Kinos anlief. Nur eine Minderheit kapierte die Aussage, die David Fincher mit seiner Kunstfigur transportieren wollte: Tyler, das Phantasiekonstrukt, zeigt die völlige Beliebigkeit, mit der anno 00 rechts/links/oben/unten kombiniert werden können. Und steht für eine Generation, die völlig in einem Vakuum taumelt, in dem Ideologien und Werte längst nur mehr - frei nach Monsieur Baudrillard - als Simulationen herumschweben.
In dieser entzauberten, vaterlosen, Ikea-gestylten, Muzak-untermalten Welt, wo die Reste des Humanismus längst korrumpiert sind, die Technokratie herrscht und der Reality-TV-Terror allgegenwärtig ist, scheint Schmerz die letzte Waffe, der Körper der einzige Strohhalm, um der Leere zu entkommen. Schmeck dein Blut! Fühl wieder, sagt Tyler. Warum einen Porno, wenn du echten Sex haben kannst?
Wer diesen Grenzerfahrer-Phrasen - so wie Edward Norton - in die Falle geht, bekommt in der zweiten Hälfte des Films die Rechnung präsentiert. Da erklärt uns Fincher dann, wie Chuck Palahniuk im Buch, daß auch die verzweifelte Suche nach dem "Echten" ein wahnsinniger (ganz wortwörtlich) Irrweg ist. Sorry, there is absolutely no escape in here. Oder doch? Vielleicht ist Liebe ein möglicher Ausweg, sagt uns die romantischste Konsumwelt-in-Flammen-Schlußsequenz seit Antonionis "Zabriskie Point"…
Wobei das Ende den emotionalsten Moment im Film darstellt; ansonsten bemüht sich Fincher in seiner virtuosen Hi-Tech-Inszenierung gar nicht um jene Authentizität, die die Figuren mit ihrem Prügel-Club verzweifelt einfordern. Im Gegenteil, "Fight Club" ist ein bewußt selbstreflexives Spiel ("The Game" hieß Finchers Film davor) mit filmischen Ebenen, Klischeebildern, Rollenvorgaben und Erwartungshaltungen. Ein zynisch-witziges Spiel (bevor ich es vergesse - wir haben es hier zuallererst mit einer Komödie zu tun), in dem Risse, Brüche und andere Verfremdungseffekte ständig davor warnen, das Geschehen ja nicht mit realistischem Erzählkino zu verwechseln.
Sucht man eine Hollywood-Großproduktion der letzten Jahre, die ähnlich radikal an der Grenzlinie von narrativen Normen und Avantgardetechniken agiert, bietet sich wohl nur Oliver Stones "Natural Born Killers" als Vergleich an. Auch so eine Mogelpackung, die pures, selbstreflexives Thesenkino als spektakulären Thriller tarnt, hier wie da mit Anti-Helden, die auf der Suche nach dem echten Schmerz und den letzten Gefühlen sind (bei Stone der Mord, bei Fincher die Selbstzerstörung), um der Tristesse der Gegenwart zu entkommen.
Daß sich beide Streifen ganz schlicht auch als visuelles Bombardement konsumieren lassen, als donnernder Multimedia-Event für die Sinne, und damit im Grunde jene Konsumhaltung bedienen, gegen die die Protagonisten so verzweifelt kämpfen, ist halt ein unauflösbarer Widerspruch…