Man kann Pierre Boulez wirklich vieles nachsagen - nur nicht, daß er ein großer Emotionalist wäre. Umso überraschender ist der vorliegende Live-Mitschnitt aus dem Stift St. Florian in Oberösterreich. Gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern zelebriert Boulez eine phantastische Bruckner-Einspielung.
Bruckner und Boulez; das klingt auf den ersten Blick nach einer sehr widersprüchlichen Kombination. Aufgrund der (vielfach bestätigten) Vorurteile über den Dirigenten würde man eher eine kaltschnäuzige und "heruntergeradelte" Interpretation erwarten, doch der französische Maestro belehrt uns eines Besseren.
Seine Aufnahme der längsten Symphonie des oberösterreichischen Komponisten ist hochmusikalisch, überraschend gefühlvoll und durchgängig dirigiert. Boulez verwendet übrigens die Fassung von Robert Haas, die einige Striche wieder aufmacht. Unverständlicherweise kommt ansonsten meist die Nowak-Fassung zum Einsatz, die einige wunderschöne Passagen zu Unrecht streicht.
Gott sei Dank konnten die Philharmoniker Boulez überreden, sich mit ihnen dieser Symphonie anzunehmen. Das Wiener Meisterensemble hat ja schon viele Referenzeinspielungen dieser Symphonie produziert (vor allem mit Karajan und Giulini), also liegt die Latte für Boulez extrem hoch.
Doch der Maestro kann sich getrost in die Oberliga einreihen; seine Interpretation ist hochinteressant, da sehr dynamisch und ausgewogen. Er bringt ein vielleicht etwas zu rasches Scherzo, auf das ein grandioses Adagio folgt, und das Finale führt zu einem fulminanten Schluß. Boulez gelingt die Meisterleistung, die Symphonie nicht in Einzelblöcke zerfallen zu lassen.
Ein besonderes Kompliment muß man auch der Produktion und der Aufnahmetechnik machen, denen es gelungen ist, die schwierige Akustik einer Stiftskirche auf CD einzufangen.
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