Seit seinem Durchbruch 1989 mit "Sex, Lügen und Video" gehört Steven Soderbergh fix zur beliebten amerikanischen Independent-Szene. Allerdings tauchten seine folgenden Streifen so tief in die geschmäcklerische Kunstfilmzone ab, daß er den Ruf eines Bildungsbürger-Regisseurs nicht mehr los wurde.
1996 feierte Soderbergh ein Comeback bei den "normalen" Kinobesuchern, mit dem niemand mehr gerechnet hatte. "Out of Sight" (mit George Clooney und Jennifer Lopez) begeisterte mit einer Mischung aus straightem Thrillerkino, ganz großen Gefühlen und raffinierten visuellen und schnittechnischen Brüchen: ein überaus charmantes, kleines Hollywood-Wunder, das Soderbergh in ein ganz neues Licht rückte. Genau hier knüpft auch sein neuer Thriller "The Limey" an.
Der Plot könnte simpler nicht sein: Terence Stamp ist Wilson, ein alternder, britischer Gangster, der nach L. A fliegt, um den Tod seiner Tochter aufzuklären - oder, besser gesagt, den Schuldigen zu finden. Denn die offizielle Version vom Autounfall glaubt der Rachsüchtige nicht. Bald ist ein Hauptverdächtiger gefunden: der schwerreiche Ex-Hippie und Plattenproduzent Valentine alias Peter Fonda. Und Wilson schlägt zu...
That´s it. Zwei Gegenspieler und dazwischen glühende Rachegefühle - ein Stoff, der in zehntausenden klischeetriefenden Action-Thrillern zu Tode exerziert wurde; ein Stoff für bierselige Videoabende im Bodybuilder-Milieu. Oder auch nicht: Steven Soderbergh gelingt es, den simplen Plot von "The Limey" in ein Kunstwerk zu verwandeln. In ein Spiel mit Zeitebenen, wo Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart am Schneidetisch verschmelzen, traumwandlerische Bilder und ein perfekter Soundtrack inklusive. Pures TripHop-Kino.
"The Limey" besteht aber nicht nur aus einer faszinierenden Oberfläche. Der Regisseur, einst als blutleerer Akademiker verschrien, hat sich seit "Out of Sight" zum mitfühlenden Chronisten der Unterwelt gewandelt. Im Gegensatz zu Jim Jarmusch und den Legionen von Tarantino-Nachahmern nimmt er seine Gangster-Charaktere verdammt ernst. Da gibt es keine comichaften Überzeichnungen, kein ironisches Geballer. Dafür stehen Gewalt und Menschlichkeit so eng beieinander wie im echten Leben.
Daß letztendlich für den wortkargen Racheengel Wilson und sogar für seinen aalglatten Gegenspieler Valentine wirklich Sympathie entsteht, verdankt sich auch den großartigen Akteuren. Allein die zerfurchten Gesichter von Terence Stamp und Peter Fonda erzählen Geschichten; vom Scheitern der Hippie-Generation etwa, von der Unerbittlichkeit des Altwerdens und vom Trauma der männlichen Gewalt.
Frauen spielen in der Männerwelt von "The Limey" aber nur scheinbar eine untergeordnete Rolle. In Wirklichkeit sind sie die Stärkeren, die Katalysatoren und die Hoffnungschimmer am Ende.
Melancholisch, humorvoll, knochenhart, warmherzig, funky, stylish - all das ist "The Limey"; und all das trifft auch auf die lakonische Coolness von Terence Stamp, die vielen Sixties-Ikonen wie Lesley Ann Warren, Warhol-Star Joe Dallesandro und Barry Newman alias TV-Detektiv Petrocelli (falls den noch irgendwer kennt) in den Nebenrollen zu, genauso wie auf den hypnotischen Bilderstrom. "The Limey" trägt jetzt schon den Stempel des Klassikers.
PS: "Limey" ist übrigens ein übler US-Slangausdruck für Engländer und rührt von den britischen Seemännern her - die mußten nämlich, um den Skorbut los zu werden, Unmengen Limonensaft trinken.
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